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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin
Autoren: Sandra Lüpkes
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aus ihr herausgeplatzt. Und Weert Switterts hasste es, ausgelacht zu werden.
    Er hatte sich vor Maikea hingestellt, sich aufgeplustert – und dabei noch mehr nach einem Rindvieh ausgesehen. Sie hatte weiter lachen müssen. Selbst als er an einem ihrer langen, blonden Zöpfe zog, konnte sie nicht aufhören. Im Gegenteil, ein Schluckauf gesellte sich dazu. Und da hatte er behauptet, sie sei von einer verfluchten Hexe großgezogen worden und habe vor ihm zu kuschen.
    So etwas wollte Maikea sich nicht sagen lassen, von niemandem, auch nicht von einem Kerl, der fast drei Jahre älter und einen guten Kopf größer war als sie.
    »Das nimmst du zurück!«
    »Einen Teufel werde ich tun!« Weerts Tritt verfehlte knapp ihr nacktes Schienbein, und das auch nur, weil Maikea flink zur Seite gesprungen war. Das hatte ihn nur noch ärgerlicher gemacht. Und es war nicht gut, wenn Weert Switterts ärgerlich war, denn er schien nicht zu wissen, wohin mit seiner Wut. Er trat und schlug dann stets um sich wie ein wildes Pferd, das man in die Enge getrieben hatte.
    Die anderen Kinder ringsum hatten sich schnell vor ihm geduckt, die meisten hatten mehr als nur Respekt vor dem Ältesten in ihrer Runde. Sie hatten vor allem Angst vor Weert Switterts.
    »Wenn ich es schaffe, mit nur zehn Schritten Anlauf über den Priel zu springen «, hatte Maikea zu ihm gesagt,» dann lässt du uns in Ruhe und nimmst zurück, was du über Geesche Nadeaus gesagt hast.«
    Da war Weert es gewesen, der lauthals lachte.»Mit deinen Stummelbeinchen? Die Flut läuft auf, das Ding wird immer breiter. Du wirst dir dein Lumpenkleidchen nass machen.«
    »Ich schaffe das.«
    Wie gern hätte Maikea ihn Düllkopp genannt. Aber sie schluckte das Schimpfwort herunter. Er sollte sich nicht weiter aufregen. Sie wollte hier auf dem Hammrich einfach mit den anderen Kindern weiterspielen, und zwar in Ruhe.
    Also maß sie die zehn Schritte vom Rand des Wasserstroms ab, atmete tief durch und rannte los. Sie konnte schnell rennen, und ihre Beine waren nicht so dünn und staksig wie die der anderen Kinder. Nicht, dass sie und ihre Mutter mehr zu beißen gehabt hätten als der Rest der Inselbewohner. Aber Maikea hatte ihre Beine gestärkt bei den langen Wegen, die sie jeden Tag am Strand, in den Dünen und an der Wattseite zurücklegte, wenn sie auf Erkundungsreise ging, wie Pastor Altmann es nannte.
    Die letzten drei Schritte stieß sie sich vorwärts, drückte ihren Fußballen mit ganzer Kraft in den feuchten, festen Sand, als wolle sie jetzt schon zum Sprung ansetzen. Und dann war es so weit. Nur eine Handbreit neben dem fließenden Meerwasser trat sie mit dem rechten Fuß ein letztes Mal auf, streckte ihr Knie in die Gerade und nutzte den Schwung der Bewegung, um sich vom Boden abzustoßen, als wolle sie gleich in den hellblauen Himmel über sich gelangen. Ein paar Kinder konnten sich einen aufgeregten Schrei nicht verkneifen, aber niemand sagte ein Wort. Fast kam es Maikea vor, als fliege sie.
    Hätte sie Flügel wie eine Silbermöwe, dann müsste sie nur ein paarmal damit schlagen, schon wäre sie in den Lüften, ganz weit oben über der Insel. Doch auch ohne Federkleid kam sie weiter, als sie es selbst für möglich gehalten hatte. Ihr linker Fuß fand wieder festen Boden, und tatsächlich hätte der Priel noch fast eine Elle breiter sein können, sie hätte ihn auch dann bewältigt.
    »Du hast gewonnen!«, jubelte ein kleines Mädchen. Die anderen klatschten. Nur Weert Switterts stand regungslos da und verzog keine Miene. Stattdessen spuckte er in den Sand.
    Maikea wurde übermütig. Sie machte noch im Laufen eine Kehrtwende, rannte zurück und wagte einen zweiten Sprung. Als sie direkt vor Weert landete, war ihr Kleid noch immer so trocken wie zuvor. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute zu dem missgelaunten Jungen auf.
    »Und? Hast du mir nicht was zu sagen?«
    »Ich wüsste nicht, was. Außer vielleicht, dass Mädchen, die von einer verfluchten Hexe großgezogen worden sind, mir überhaupt nichts zu befehlen haben.«
    Maikea konnte sich nicht zurückhalten, und obwohl sie wusste, dass er ihr an Größe und Kraft überlegen war, ballte sie die Fäuste und trommelte auf seine breite Rindviehbrust. Doch er hatte ihre Handgelenke umfasst und bereitete der energischen Bewegung ein jähes Ende.
    »Welcher Hahn kräht denn schon danach, was ich über die alte Hexe sage? Sie ist seit einem Jahr tot und schmort wahrscheinlich dort, wo sie hingehört: in der Hölle!
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