Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Insel - Roman

Titel: Die Insel - Roman
Autoren: Richard Laymon Thomas A Merk
Vom Netzwerk:
Keith tot war, er war auch noch so gut wie nackt. Nichts auf der Welt sehe ich weniger gern als einen Mann
ohne Hosen. Am allerwenigsten von vorn, und genau so hing Keith im Baum.
    So sehr ich mich auch bemühte, beim Hinaufklettern nur auf Stamm und Äste zu sehen, tauchten am Rand meines Gesichtsfeldes immer wieder Keiths nackte Füße und Beine auf.
    Ich hob den Kopf und blickte an dem Seil entlang nach oben. Von Keiths Hals lief es zu einem dicken Ast, um den es in mehreren Windungen geschlungen war, bevor es wieder nach unten führte. Etwa einen halben Meter unterhalb der Leiche war es an einem weiteren Ast festgeknotet.
    Vielleicht war es ja möglich, das Seil dort unten zu durchtrennen, dann musste ich nicht ganz soweit hinauf klettern. Um aber auch nur in die Nähe des Seils zu kommen, musste ich direkt unterhalb von Keiths Füßen hinaus auf einen Ast krabbeln, und wenn ich dann das Seil durchschnitt, bestand die Gefahr, dass er auf mich herab fiel.
    Weil ich das auf keinen Fall riskieren wollte, richtete ich meinen Blick wieder auf den Baumstamm und kletterte weiter.
    So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte es nicht verhindern, dass ich viel mehr von Keith zu Gesicht bekam, als mir lieb war. Wenn so etwas neben einem hängt, schaut man eben doch immer wieder hin, ob man nun will oder nicht.
    Zum Beispiel, weil man sichergehen will, dass man nicht mit der Leiche in Berührung kommt.
    Außerdem fragt man sich, ob nicht vielleicht etwas auf dem Toten hockt, das einen beißen oder anspringen könnte. Irgendein Raubtier oder eine Schlange oder weiß Gott, was sonst noch.

    Wie dem auch sei, jedenfalls wurde mir von Keiths Anblick ziemlich schlecht. Erst fand ich es am ekligsten, dass er keine Hosen trug, aber als ich hoch genug war, um sein Gesicht zu sehen, war das noch hundertmal schlimmer.
    Ich möchte nicht mal ansatzweise beschreiben, wie es aussah.
    »Ist er es?«, rief Andrew von unten herauf.
    »Ich denke schon.«
    »Denkst du es nur, oder weißt du es?«
    »Sein Gesicht ist übel zugerichtet. Aber ich bin mir trotzdem ziemlich sicher, dass er es ist.«
    »Wurde er aufgehängt?«
    »Ja«, rief ich nach unten. »Aber es sieht so aus, als hätte ihm jemand vor dem Aufhängen den Schädel eingeschlagen.«
    »Dann schneide ihn jetzt ab.«
    »Einen Moment noch.«
    Ich besah mir den Strick, der nicht viel dicker als eine normale Wäscheleine war. Der Knoten an der rechten Wange des Leichnams war ein echter »Henkersknoten« mit dreizehn Schlingen. Er drückte Keiths Kopf schräg zur Seite und das Seil lief straff gespannt hinauf zu einem dicken Ast etwa einen Meter weiter oben.
    »Wieso brauchst du so lange?«, rief Andrew. »Schneid ihn doch endlich ab!«
    Ich fragte mich, ob es vielleicht möglich war, Keith langsam herabzulassen.
    Wenn man ihn hatte hinaufziehen können, musste man ihn doch eigentlich auch wieder herunterlassen können.
    Als ich nach unten sah, bemerkte ich, dass das nicht möglich war. Der Mörder hatte den Strick dicht unterhalb
des Knotens abgeschnitten, sodass man den Knoten nicht mehr lösen konnte.
    Es widerstrebte mir, das Seil einfach durchzuschneiden und Keith herunterfallen zu lassen.
    »Verdammt noch mal, Rupert, nun mach schon!«
    »Er wird runterfallen.«
    »Na und? Das tut ihm nicht mehr weh.«
    »Okay, okay.«
    Ich kletterte noch ein Stück höher und hob, während ich den linken Arm um den Baumstamm schlang, meinen rechten Fuß. Ich zog das Messer aus der Socke, klappte die Klinge mit den Zähnen aus und hielt sie weit nach vorne gebeugt etwa zwanzig Zentimeter oberhalb von Keiths Kopf an das straff gespannte Seil.
    Andrew musste sein Messer erst kürzlich geschliffen haben.
    Ein einziger Schnitt genügte, und das Seil war durch.
    Keith sauste nach unten.
    Es war noch schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte.
    Der Leichnam krachte auf den Ast unter ihm und blieb den Bruchteil einer Sekunde lang rittlings und mit schlaff herabhängendem Kopf darauf sitzen wie ein Cowboy, der im Sattel eingeschlafen war. Dann kippte er im Zeitlupentempo zur Seite und stürzte kopfüber zu Boden.
    Andrew stieß einen brummigen Seufzer aus und brachte sich mit ein paar raschen Schritten rückwärts aus der Gefahrenzone.
    Als Keith mit dem Kopf auf dem Urwaldboden auftraf, schien sein Rückgrat in der Mitte einzuknicken, und einen Augenblick lang glotzte er zu mir herauf wie ein Mutant, der halb aus Gesicht und halb aus Hinterteil besteht, bevor er seitlich umkippte und endgültig liegen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher