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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Autoren: Umberto Eco
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dass sie ihn so brutal auf den Weg des Ruhmes gebracht hatten, und dass er sodann als guter Patriot beschloss, seinen kurzen Abstecher nach Osten und seine Entdeckung allen zu verschweigen, um die Papiere unter strengster Geheimhaltung niemand anderem als der britischen Admiralität zu übergeben.
    Auch in diesem Falle wird sie dann allerdings jemand als von geringem Interesse und keinerlei Beweiskraft eingestuft haben, so dass sie – erneut – zwischen Bündeln vergilbter Gelahrtheiten für Literaten landeten. Bligh verzichtet auf die Salomon-Inseln, begnügt sich mit seiner Ernennung zum Admiral aufgrund seiner unleugbaren seemännischen Qualitäten und stirbt als Pensionär in Ehren, ohne zu ahnen, dass Hollywood ihn der Nachwelt als ein besonders verabscheuenswertes Scheusal hinstellen wird.
     
    Und somit, selbst wenn sich eine meiner Hypothesen zur Fortsetzung der Erzählung anböte, würde diese kein erzählenswertes Ende haben und meine Leser so unzufrieden wie unbefriedigt lassen. Und auch auf diese Weise würde sich die Geschichte von Roberto nicht zu einer moralischen Lehre eignen, und wir würden uns immer noch fragen, wieso ihm geschehen ist, was ihm geschehen ist, und müssten schließen, dass die Dinge im Leben eben geschehen, weil sie geschehen, und dass sie nur im Land der Romane für einen bestimmten Zweck oder aufgrund einer Vorsehung zu geschehen scheinen.
    Wollte ich eine Schlussfolgerung ziehen, so müsste ich unter Robertos Papieren nach einer Anmerkung suchen, die sicherlich auf jene Nächte zurückging, in denen er sich noch fragte, ob es auf der Daphne womöglich einen Eindringling gab. An jenem Abend betrachtete er wieder einmal den Himmel. Er entsann sich, dass auf La Griva, als die altersschwache Hauskapelle eingestürzt war, sein karmelitischer Lehrer, der sichim Orient auskannte, den Rat gegeben hatte, man solle jenes kleine Gebetshaus nach der byzantinischen Mode wiederaufbauen, rund und mit einer Kuppel in der Mitte, was nun wirklich nicht das Geringste mit dem Stil zu tun hatte, den man im Monferrat gewohnt war. Doch der alte Pozzo wollte sich nicht auf eine Diskussion über Fragen der Kunst und der Religion einlassen und hatte den Rat jenes heiligen Mannes befolgt.
    Beim Anblick des Himmels der Antipoden machte Roberto sich nun bewusst, dass ihm auf La Griva, in einer ringsum von Hügeln umschlossenen Landschaft, das Himmelsgewölbe immer wie die Kuppel jenes Gebetsraums erschienen war, klar begrenzt durch das enge Rund des Horizonts und besetzt mit ein oder zwei Sternbildern, die er sich merken konnte – ein Schauspiel, das sich, soviel er wusste, von Woche zu Woche veränderte, und da er früh schlafen zu gehen pflegte, war ihm nie aufgefallen, dass es sich bereits im Laufe einer Nacht änderte. Infolgedessen war ihm jene Kuppel stets reglos und rund vorgekommen, und als ebenso reglos und rund hatte er sich infolgedessen das Weltall vorgestellt.
    In Casale, inmitten einer Ebene, hatte er dann begriffen, dass der Himmel viel weiter war, als er gedacht hatte, aber Pater Emanuele hatte ihn dazu überredet, sich mehr die mit geistreichen Metaphern beschriebenen Sterne vorzustellen, als die Sterne über seinem Kopf zu betrachten.
    Jetzt, als antipodischer Zuschauer aus der unendlichen Weite eines Ozeans, entdeckte er einen grenzenlosen Horizont. Und hoch über seinem Kopf sah er nie zuvor gesehene Konstellationen. Diejenigen seiner Hemisphäre deutete er sich anhand der Bilder, die andere schon für sie festgelegt hatten – hier die polygonale Symmetrie des Großen Wagens, dort die alphabetische Exaktheit der Kassiopeia. Doch auf der Daphne hatte er keine vorgegebenen Figuren, er konnte jeden Punkt mit jedem anderen verbinden, konnte sie sich zum Bild einer Schlange, eines Riesen, einer Haarlocke oder eines giftigen Insektenstachels zusammensetzen, um sie dann wieder aufzulösen und andere Formen zu probieren.
    In Frankreich und Italien beobachtete man auch am Himmel eine Landschaft, die von der Hand eines Monarchen geordnet war, der den Verlauf der Straßen und der Postwegefestgelegt und dazwischen das Dickicht der Wälder gelassen hatte. Hier hingegen war man Pionier in einem unbekannten Land und musste selber entscheiden, welche Wege von einem Berggipfel zu einem See führten, ohne dass man ein Auswahlkriterium hatte, denn es gab noch keine Städte und Dörfer an den Hängen des einen oder den Ufern des anderen. Roberto konnte die Sternbilder nicht betrachten, er war dazu
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