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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Autoren: Umberto Eco
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und den Schiffbruch konnte ihr Haar strohig geworden sein, durchzogen von weißen Strähnen; ihr Busen hatte gewiss seine Lilienfrische verloren, ihr Antlitz war gefurcht von der Zeit. Faltig waren ihr Hals und der Brustansatz.
    Doch nein, die Verblühende so zu verherrlichen hieß immer noch, sich Pater Emanueles Metaphernmaschine anzuvertrauen ... Roberto wollte Lilia so sehen, wie sie wirklich war. Den Kopf zur Seite gekippt, die verdrehten, nun vom Schmerz verkleinerten Augen zu weit von der Nasenwurzel entfernt, unterlegt mit dicken Tränensäcken, die Winkel gezeichnet von einem Strahlenkranz kleiner Runzeln, Spatzenspuren im Sand. Die Nase spitz, die Nasenlöcher ein bisschen geweitet, das eine etwas fleischiger als das andere. Die Lippen rissig und aufgeplatzt, zwei große amethystfarbene Runzeln, an den Seiten niedergebogen, die Oberlippe ein wenig vorstehend und leicht angehoben, um zwei große, nicht mehr elfenbeinfarbene Zähne zu zeigen. Die Gesichtshaut ein wenig schlaff, zwei lose Falten unterm Kinn, die den Hals verunstalteten ...
    Und doch, diese welke Blume hätte Roberto nicht für alle Engel des Himmels hergegeben. Er liebte sie auch so, und ob sie anders aussah, hatte er ja auch an jenem fernen Abend nicht wissen können, als er sie das erste Mal so liebte, wie sie war, verhüllt unter ihrem Schleier.
    Während seiner Tage als Schiffbrüchiger hatte er sich irreleiten lassen und hatte sie als einen Inbegriff der Harmonie gleich dem Sphärensystem begehrt; aber damals in Paris war ihm auch gesagt worden (und er hatte nicht gewagt, Pater Caspar auch dies zu beichten), dass vielleicht die Planeten ihre Reise durchs All nicht auf einer perfekten Kreisbahn zurücklegen, sondern auf einer eigentümlich schiefen Bahn um die Sonne.
    Wenn Schönheit klar ist, dann ist Liebe geheimnisvoll: Roberto entdeckte, dass er nicht nur den Frühling, sondern alle Jahreszeiten der Geliebten liebte und dass sie in ihrem herbstlichen Niedergang nur noch begehrenswerter wurde. Er hatte sie stets wegen dessen geliebt, was sie war und sein können würde, und nur in diesem Sinne hieß lieben sich selbst hingeben, ohne etwas als Gegenleistung dafür zu erwarten.
    Er hatte sich von seinem wellenumtosten Exil betäuben lassen, indem er immerfort nach einem anderen Selbst suchte: einem teuflischen in Ferrante und einem engelgleichen in Lilia, mit deren Ruhm er sich hatte rühmen wollen. Dabei hieß Lilia zu lieben doch nur, sie so haben zu wollen,wie er selber war, beide dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Bisher hatte er ihre Schönheit benutzt, um die Verunreinigung seines Geistes zu fördern. Er hatte sie sprechen lassen, indem er ihr Worte in den Mund legte, die er von ihr hatte hören wollen und mit denen er gleichwohl unzufrieden war. Jetzt hätte er sie gerne bei sich gehabt, verliebt in ihre leidende Schönheit, in ihre wollüstige Ausgezehrtheit, in ihren verblassten Liebreiz, ihre welke Anmut und ihre magere Nacktheit, um sie behutsam zu liebkosen und dabei auf ihre Worte zu hören, auf ihre eigenen und nicht auf die, die er ihr geliehen hatte.
    Er musste sie haben, indem er darauf verzichtete, sich zu besitzen.
    Doch es war höchste Zeit, seinem kranken Idol die richtige Huldigung zu erweisen.
    Auf der anderen Seite der Insel floss in Lilias Adern bereits der Tod.

 
    39
    EKSTATISCHE HIMMELSREISE
     
    W ar das die Art, einen Roman zu beenden? Romane schüren nicht nur den Hass, um uns am Ende das Scheitern derer, die wir hassen, genießen zu lassen, sie regen auch zum Mitleid an, um uns dann entdecken zu lassen, dass die, die wir lieben, außer Gefahr sind. Einen Roman, der so schlecht endet, hatte Roberto noch nie gelesen.
     
    Es sei denn, der Roman wäre noch gar nicht zu Ende und es käme noch ein heimlicher Held ins Spiel, der eine Tat vollbrachte, die nur im Land der Romane vorstellbar ist.
    Aus Liebe zu seiner Heldin beschloss Roberto, diese Tat zu vollbringen, indem er selber in seinen Roman eintrat.
     
    Wäre ich schon auf die Insel gelangt, sagte er sich, so könnte ich die Geliebte jetzt retten. Nur meine Trägheit hat mich hier festgehalten. Jetzt sind wir beide im Meer verankert und sehnen uns nach entgegengesetzten Ufern ein und desselben Landes.
    Aber noch ist nicht alles verloren. Ich sehe sie zwar in diesem Augenblick sterben, aber wenn ich in diesem Augenblick auf die Insel käme, wäre ich ja einen Tag vor ihrer Ankunft da, also rechtzeitig, um sie zu erwarten und sie heil ans Ufer zu bringen.
    Und
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