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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Autoren: Umberto Eco
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die Specula Melitensis, aber ich möchte daran erinnern, dass nach Abel Tasman noch ganze hundertdreißig Jahre vergehen sollten, bis James Cook dieselben Inseln wiederentdeckte, und nach der Lagebestimmung von Tasman hätte man sie nicht wiederfinden können.
    Dann endlich, ebenfalls gut ein Jahrhundert nach unserer Geschichte, macht die Erfindung von Harrisons Seechronometer der hektischen Suche nach dem Punto Fijo ein Ende. Das Problem der Längengrade ist kein Problem mehr, und irgendein Archivar der Kompanie, der die Schränke leermachen will, sortiert aus, verschenkt, verkauft – was weiß ich – Robertos Papiere, die jetzt nur noch eine Kuriosität für Sammler alter Handschriften sind.
     
    Die zweite Hypothese ist, in romanhafter Hinsicht, fesselnder. Im Mai 1789 kommt eine faszinierende Persönlichkeit durch jene Gegend. Es ist Captain Bligh, den die Meuterer der Bounty auf einer Schaluppe mit achtzehn Getreuen ausgesetzt und der Gnade des Meeres anvertraut hatten.
    Dieser außergewöhnliche Mann – wie groß seine charakterlichen Mängel auch immer gewesen sein mögen – bringt es fertig, mehr als sechstausend Kilometer quer durch den Pazifik zu fahren, um schließlich auf Timor zu landen. Bei dieser Fahrt kommt er durch den Archipel der Fidschi-Inseln, landet beinahe auf Vanua Levu und durchquert die Yasawa-Gruppe. Das heißt, mit einem kleinen Abstecher nach Osten hätte er leicht in die Gegend von Taveuni gelangen können, wo es mir gefallen würde, unsere Insel anzusiedeln; und wenn Beweise etwas bedeuten würden in Fragen, die das Glauben oder Glaubenwollen betreffen, nun denn, man hat mir versichert, dass eine Flammenfarbene Taube (oder Flame Dove oder Orange Dove oder besser noch Ptilinopus Victor) nirgendwo anders als ebendort existiert – nur dass, und hier riskiere ich, die ganze Geschichte zu ruinieren, die flammenfarbene das Männchen ist.
    Gewiss hätte einer wie Captain Bligh, wenn er die Daphne in halbwegs brauchbarem Zustand vorgefunden hätte – er war ja in einem offenen Boot zu ihr gelangt –, alles getan, um sie wieder flottzumachen. Doch inzwischen waren fast anderthalb Jahrhunderte vergangen. Stürme hatten das Wrack geschüttelt und aus der Verankerung gerissen, so dass es an das Korallenriff getrieben und dort zerschellt war – oder nein, es war von der Strömung erfasst und nach Norden getrieben worden, um auf einer Sandbank oder an den Klippen einer nahen Insel hängenzubleiben und dort langsam zu verrotten.
    Vermutlich war Bligh an Bord eines Gespensterschiffes gegangen, dessen Wände von Muscheln verkrustet und von Algen grün waren, mit stehendem Wasser in einem aufgeschlitzten Bauch, der allerlei Mollusken und giftigen Fischen als Refugium diente.
    Vielleicht stand das Achterkastell noch, brüchig und morsch, und in der Kapitänskajüte fand Bligh, trocken und staubig, oder nein, feucht und durchweicht, aber noch lesbar, Robertos Papiere.
    Es war nicht mehr die Zeit der großen Aufregung über die Längengrade, aber vielleicht erregten die wiederholten Erwähnungen der Salomon-Inseln in einer für ihn sonst unverständlichen Sprache seine Aufmerksamkeit. Etwa zehn Jahre zuvor hatte ein gewisser Monsieur Buache, Geograph des Königs und der französischen Flotte, der Akademie der Wissenschaften einen Bericht über die Existenz und die Position der Salomon-Inseln vorgelegt und behauptet, sie seien nichts anderes als jene Baie de Choiseul, die Bougainville im Jahre 1768 entdeckt hatte (und deren Beschreibung sich mit der alten von Mendaña deckte) sowie jene Terres des Arsacides, die Surville ein Jahr später gefunden hatte. Worauf dann, während Bligh noch unterwegs war, ein Anonymus, vermutlich Monsieur de Fleurieu, ein Buch mit dem Titel Découvertes des François en 1768 & 1769 dans les Sud-Est de la Nouvelle Guinée herausbrachte.
    Ich weiß nicht, ob Bligh die Gebietsansprüche von Buache kannte, aber zweifellos sprach man in der britischen Flotte verärgert über die Arroganz der französischen Vettern, die sich brüsteten, das Unauffindbare gefunden zu haben. Die Franzosen hatten zwar recht, aber das konnte Bligh wederwissen noch wünschen. So keimte in ihm vielleicht die Hoffnung, ein Dokument gefunden zu haben, das nicht nur die französischen Besitzansprüche widerlegte, sondern überdies auch ihn als den wahren Entdecker der Salomon-Inseln bestätigte.
    Ich stelle mir vor, dass er zunächst Fletcher Christian und den anderen Meuterern innerlich dafür dankte,
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