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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder
Autoren: Jennifer McMahon
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den Rand und zog mich zu sich. Er fing an, an mir rumzufummeln, öffnete seinen Hosenschlitz, legte mir die Hände auf den Kopf, stieß mir den Piratenhut herunter und führte mein Gesicht nach unten. Damals war ich in gewisser Weise daran gewöhnt. Ich konnte dann einfach abschalten, verstehst du. Ich konnte mir vorstellen, dass ich ganz woanders bin, und an andere Dinge denken. Manchmal ging ich dabei den ganzen Text meiner Rolle durch. Inzwischen war es schon dunkel im Wald, aber der Mond stand am Himmel, und Peter – er hatte sich hinter einem Baum versteckt – sah, was geschah. Peter war außer sich. Er stürzte sich auf Daddy und schlug ihn, so fest er nur konnte, mit seinem dämlichen Spielzeugschwert auf den Rücken – dabei zerbrach es in zwei Teile. Er schrie ohne Worte, nur ein langgezogenes Geheul wie eine Art Kampfgeschrei. Dann sprang er Daddy auf denRücken, noch immer schreiend, und nahm ihn von hinten in den Würgegriff. Dad verlor das Gleichgewicht, fiel hin, und sie wälzten sich schnaufend und um sich tretend auf dem Boden und warfen die Klappstühle um. Schließlich gewann Dad die Oberhand, und es gelang ihm, Peter unter sich festzuhalten. ‹Du spionierst mir nach, Bursche!›, brüllte er wütend und war dabei puterrot im Gesicht. Ich dachte, das war’s, jetzt bringt er Peter um, aber dann hörte ich dieses ‹Peng, peng, peng!›, und Daddy haute sich fluchend und schreiend auf den Rücken, und ich sah, dass Tack am Fuß der Bühne stand und wie so ein verdammter Scharfschütze mit ihrem Luftgewehr schoss.»
    Lizzys Tonfall hatte sich geändert, als sie beschrieb, wie Peter und Tack ihr zu Hilfe gekommen waren. Ihre Stimme war bei diesem Teil der Geschichte lebhafter und fast erregt.
    «Als ihr die Munition ausging, stürzte sie sich auf ihn und stieß ihn mit der Wucht ihres Angriffs von Peter herunter. Peter schnappte sich einen der Stühle und schlug damit auf Daddy ein. Mein Vater war sauer, aber ich glaube nicht, dass er Angst hatte. Schließlich entriss er Peter den Stuhl und kam auf die Beine. Er warf Peter auf den Rücken und hielt ihn dort unten, den Arm quer über Peters Hals gelegt. Tack stand jetzt neben den Kämpfenden und schrie einfach nur einen nicht aufhören wollenden Strom von Beschimpfungen heraus. ‹Schwanzlutscher, Hurensohn, Arschficker, runter von ihm, Scheiße nochmal, oder ich bring dich um, du Schwein!› Und immer so weiter. Ich dachte, alle bei euch im Garten würden es hören und angerannt kommen. Aber keiner kam. Die Musik wird wohl zu laut gewesen sein.Und Mom hatte sich volllaufen lassen und den Tisch in Brand gesteckt.»
    Lizzy hielt inne, um Luft zu holen, und als sie fortfuhr, klang ihre Stimme wieder so monoton wie zu Beginn ihrer Schilderung jenes Abends.
    «Daddy hatte Peters Kopf auf den Boden gedrückt, und Peter keuchte, würgte und rang nach Atem. Ich wusste, dass nur ich das beenden konnte. Wenn ich meinen Vater fest genug schlug, würde er das Bewusstsein verlieren. Ich glaube, aus Filmen hatte ich die naive Vorstellung, er würde einen Gedächtnisverlust erleiden und dann würde alles so sein, als wäre es nie geschehen, weißt du? Ich ging also hinter die Bühne, wo die Werkzeugkiste stand, nahm mir einen Hammer und schlich mich hinter meinen Vater und Peter. Tack schrie noch immer. Peter und Daddy starrten sich schwitzend und zitternd an. Ich hob den Arm, holte aus und schlug meinen Vater, so fest ich konnte, auf den Hinterkopf. Er kippte einfach so um. Aber ich schlug ihn trotzdem noch einmal. Und dann wieder. Und dann war es, als könnte ich gar nicht mehr aufhören. Alles, womit er mich je verletzt hatte, kam mit einem Mal zurück, und ich legte all diese Monate der Lügen und des Schmerzes in jeden Hammerschlag. Es war wie an dem Tag, an dem ich den Lumpenmann umgebracht hatte. Ich machte einfach immer weiter. Peter nahm mir schließlich den Hammer aus der Hand. Tack führte mich von dort weg und dann hinauf auf die Bühne, nahm mich in die Arme, hielt mich, so fest sie konnte, und wiegte mich.»
    Lizzy blickte zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Berichts auf Rhonda. Ihre Stirn glänzte von Schweißperlen.Beim Erzählen hatte ihr Blick verschwommen gewirkt, doch jetzt sah sie Rhonda scharf an.
    «Peter und Tack schleppten Dads Leiche auf die Bühne, wälzten ihn in die Grube und schlossen die Falltür über ihm. Dann nahm Tack mich wieder in die Arme.»
    «Und so habe ich euch gefunden», sagte Rhonda. Sie hatte lange genug geschwiegen.
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