Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
Lendentuch aus edelstem Samt!«
    »Klong-klong-klong-klong-klong-klong-klong-klong !« Letzterer war
ein Scherenschleifer. Sie preisen ihr Gewerbe an, indem sie Ketten aus
Metallplättchen, die in den Säumen ihrer weiten Ärmel eingenäht sind,
aneinanderschlagen, und das klingt so, als würde einem der Zahnschmelz
abplatzen. Der soeben abgeschlagene Kopf rollte auf die kleinen Mädchen zu, die
nicht einmal mehr aufblickten, sondern nur automatisch die Füße hoben und ihren
süßen kindlichen Gesang fortsetzten, während sich der Kopf zu seinem
körperlosen Kollegen gesellte. Mit einem Ruck beugte ich mich vor und begann zu
zählen: »...vierundzwanzig, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig .« Sechsundzwanzig, das bedeutete, daß Teufelshand soeben die alte Rekordmarke
erreicht hatte, und bei dem nächsten würde er einen neuen Rekord aufstellen!
Wenn nicht ein Wunder geschah, würde ich gleich meine Wette verlieren, aber es
machte mir nichts aus. Im Gegenteil, zum ersten Mal an diesem Tag durchrieselte
mich ein Gefühl des Wohlbehagens, weil ich den Gefangenen, der als nächster an
der Reihe war, nur zu gut kannte. Wie wunderbar, daß der Rekord mit der
Hinrichtung von Wirt Sechsten Grades Tu gebrochen werden sollte! »Ochse, hier
ist ein interessanter Kommentar von Flaccus dem Vierten!« brüllte Meister Li.
»Er beginnt damit, daß er deine übertriebene Sensationslust beklagt, und dann
fährt er fort: Ut turpiter atrum desinat in piscem mulier formosa superne -
« Ich stieß ihn am Arm an und deutete nach vorn, worauf Meister Li sich
erhob und seine Kleider zurechtzupfte. Als die Gerichtsdiener den Gefangenen
herbeischleppten, trat er an den Rand der Tribüne, und ich konnte sehen, wie
sich der alte Mann sammelte und anfing, sich angemessen würdevolle
konfuzianische Bemerkungen zurechtzulegen, um es dem Wirt zu erleichtern, sich
in sein unmittelbar bevorstehendes Ende zu fügen. Unseligerweise brachte
Meister Li den rechten Tonfall würdiger Gelassenheit nicht zustande, da er sich
gegen die Menge, die Händler, die Spieler und zwei händeklatschende kleine
Mädchen durchzusetzen hatte, und das Ergebnis klang ungefähr so: »Wirt Sechsten
Grades Tu - - « »Sechs zu fünf! Letzte Gelegenheit bei sechs zu fünf!
Geld-Geld-Geld !« dröhnte Goldzahn Meng.
    »Deine Verbrechen finden in
ihrer Verderbtheit nicht ihresgleichen--«
    »Wamm-pong! Wamm-pong! Wamm-pong !«
    Das war ein Hausierer mit
Kämmen und Bürsten, der auf sich aufmerksam machte, indem er gleichzeitig auf
eine Trommel und einen Gong einschlug.
    »Und läge die Entscheidung
in meiner Macht - - «
    » Erfrisch u ngssäfte
eisekalt !«
    »Halt, du Dieb! Gib mir
meinen Nabelschmuck zurück !« »Würde ich dich zum Tod der Tausend
Schnitte verurteilen - «
    »Kuang kuang ch 'a,
    Kuang kuang ch'a,
    Miao Ii he shang
    Mei yu t'oufa !«
    »Angefangen bei deinem
Stinktierschwanz und deinen Pavianeiern, du elender Scheißhaufen !« schrie Meister Li aus vollem Hals.
    Weiterer Worte bedurfte es
nicht. Er gab den Gerichtsdienern einen Wink, worauf sie Wirt Sechsten Grades
Tu zum Hinrichtungsblock zerrten und ihm die Beine unter dem Leib wegtraten.
Teufelshand begann seine einleitenden Atemübungen und hob langsam sein Schwert
zu dem Versuch, der den Rekord einstellen sollte, als das erste der
außergewöhnlichen Ereignisse, durch die wir in die Geschichte mit den Acht
Gelehrten Herren verwickelt werden sollten, seinen Lauf nahm.
    Wenn mir einer gesagt
hätte, daß irgend jemand laut genug schreien könnte, um die Menge auf dem
Gemüsemarkt zum Schweigen und zum Zuhören zu bringen oder zu bewirken, daß der
Oberste Scharfrichter Pekings mit hocherhobenem Schwert innehielte, so hätte
ich ihm nicht geglaubt, aber genau das war es, was passierte. Alle Augen
wandten sich den sechs Gestalten zu, die durch das Tor der Immerwährenden
Rechtschaffenheit auf den Platz gestürmt kamen. Die fünf Männer, die vorneweg
eilten, starrten mit weit aufgerissenen Augen aus entsetzensbleichen
Gesichtern, und ihre Münder, denen sich ein ohrenzerreißender Schrei nach dem
anderen entrang, klafften auf wie Kohlenkästen. Die Ursache der Aufregung aber
war die sechste Gestalt, und ein einziger Blick genügte, um mir das Blut in den
Adern gefrieren zu lassen. Seit meinem fünften Lebensjahr hatte ich von Tante
Hua Geschichten über Leichenfresser gehört, hatte aber im Leben nicht erwartet,
einem zu begegnen, und dieser Ch'ih-mei war, wie Meister Li später
versicherte, ein so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher