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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen
Autoren: Torsten Fink
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einzuquartieren, und natürlich lagen die Weiler und Höfe der de Robervals nicht auf direktem Wege zum königlichen Schloß, sodass die Reise zwei Tage länger dauern würde.
    Standesgemäß reisten sie in zwei Kutschen. Der Onkel mit Bertrand, dem Verwalter, voraus, Marguerite und Damienne im zweiten Wagen hinterher. Vor und hinter den Wagen ritten jeweils drei Bewaffnete. Reisende waren in jenen Tagen keineswegs sicher vor Räubern, und außerdem war der Onkel der Meinung, daß einem Manne seines Standes eine Eskorte zustand. Einem klugen Räuber wäre sicher aufgefallen, daß die Bewaffneten viel zu verfroren waren, um eine ernste Gefahr darzustellen. Aber die wirklich klugen Räuber waren bei diesem grimmigen Frost ohnehin zu Hause geblieben und für dümmere Banditen war die bewaffnete Schar Abschreckung genug. Es waren Pierre, der Schmiedegeselle, und fünf Reit- und Holzknechte, die de Roberval in neue und ansehnliche Rüstungen gesteckt hatte. Die Harnische waren sogar mit dem Wappen der de Robervals verziert — was für die Reiter nur ein schwacher Trost war. Die Rüstungen hatten die unangenehme Eigenschaft, die Kälte hervorragend zu leiten, und so froren die armen Kerle unter ihren Helmen bitterlich, während sich an ihren Bärten Eiszapfen bildeten. Marguerite taten die Reiter leid. Sie selbst saß mit Damienne in der geschlossenen Kutsche unter mehreren Lagen Decken und Pelzen und fror trotz alledem noch. Immerhin war der Onkel so einsichtig, daß er zu Mittag an Gasthäusern anhalten ließ, wenn kein eigenes Gut in der Nähe war. Dann konnten sich alle ein halbes Stündchen bei einer heißen Suppe aufwärmen, bevor es weiterging.
    »Ich verstehe nicht, daß wir all diese armseligen Güter abklappern müssen!«, schimpfte Marguerite am vierten Tag ihrer Reise, als sie wieder einmal die Heerstraße verließen und sich über verschneite Feldwege zu einem abgelegenen Dorf mühten.
    »Geduld, mein Kind«, seufzte Damienne. »Du wirst den König schon noch zu Gesicht bekommen.«
    Marguerite sprach seit Tagen von nichts anderem. Endlich würde sie den König sehen! Vielleicht würde sie ihm sogar vorgestellt? Ihr Onkel meinte zwar, das sei im Protokoll nicht vorgesehen, aber sie hoffte es trotzdem.
    Damienne seufzte: »Ich wollte nur, diese Straßen wären gepflastert! Das ist Gift für mein geschundenes Kreuz!«
    »Ach, was Aufregenderes als ein Schlagloch wird uns auf der ganzen Reise nicht begegnen. Wenn es wenigstens noch Wölfe in dieser Gegend gäbe!«
    »Ach, hör auf!«, rief Damienne, »das hätte uns gerade noch gefehlt! Wölfe — als wären die Wege nicht schon schlimm genug! Man soll das Unglück nicht beschreien!«
    Aber es ließen sich keine Wölfe blicken, und der Feldweg führte sie bald an ihr Tagesziel, in eine warme Stube und zu einem Verwalter, der vor Angst zitterte, als er dem Onkel über die Einkünfte Auskunft erteilen mußte.
    Marguerite war dabei, als der Mann die Bücher des Gutes offenlegte und von schlechten Ernten und unvorhergesehenen Abgaben murmelte.
    Die Laune des Onkels wurde - wie schon in den vergangenen Tagen - auch bei diesem Bericht nicht besser. »Ich habe es satt, daß all meine Verwalter Ihre Unfähigkeit hinter schlechtem Wetter zu verbergen suchen! Mal hat es zu viel geregnet, mal zu wenig. Mal war der Winter zu streng, mal der Frühling zu früh. Und auf den Gütern meiner Nachbarn gedeiht das Korn! Ist denn die Natur nur ungnädig zu meinen Bauern? Ich glaube eher, es fehlt die strenge Hand, die der faulen Bande zeigt, was es heißt zu arbeiten!«
    Marguerite kannte diese Seite ihres Onkels, auch wenn er sie ihr gegenüber nie zeigte. Er konnte ungeheuer hart zu seinen Dienern sein. »Zu ihrem Besten«, wie er stets versicherte. Vielleicht mußte er wirklich so streng sein. Marguerite wußte es nicht, aber ihr tat der Mann leid, der mit gesenktem Haupt vor ihrem Onkel stand und seine Mütze verlegen in den Händen drehte.
    »Nun, Bertrand, Ihr seht, in meiner Abwesenheit wartet eine Menge Arbeit auf Euch«, wandte sich de Roberval an den Verwalter.
    Bertrand seufzte und nickte. »Oh, ich bin zuversichtlich, daß wir auch dieses Gut auf Vordermann bringen werden, Euer Gnaden«, versicherte er und kratzte mit unruhiger Feder einige Notizen in sein riesiges Verwaltungsbuch. Er war ein blasser Mann, klug ohne Zweifel, aber die Last seines Amtes schien so schwer auf seinen Schultern zu liegen, daß sein Rücken längst die Form einer Sichel angenommen
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