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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen
Autoren: Torsten Fink
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übellauniger Monsieur Soubise in den Sattel seines frisch beschlagenen Pferdes. De Roberval hatte ihm mit nachdrücklichem Bedauern erklärt, daß - leider! - alle Zimmer im Schloß belegt seien, es aber im Nachbardorf einen sehr preiswerten Gasthof gebe.
    Noch vor dem Abendessen ließ de Roberval Marguerite in sein Arbeitszimmer rufen. Als sie eintrat, saß er im Sessel und studierte wieder die Karte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Er blickte sehr ernst, als seine Nichte eintrat.
    »Ich hoffe, du warst nicht zu enttäuscht«, begann er.
    »Wovon, Monsieur?«
    »Du weißt, wovon ich rede. In letzter Zeit sind mir einige Gerüchte zu Ohren gekommen. Die Dienerschaft flüstert und weiß Dinge, die sie nichts angehen. Dinge, die niemand wissen kann, es sei denn, er lauscht an meiner Tür oder an gewissen offenen Kaminen.«
    Marguerite schluckte.
    »Offensichtlich ist es mir gelungen, diesem Mißstand inzwischen einen Riegel vorzuschieben. Weißt du, was ich mit einem Diener machen würde, den ich beim Lauschen erwische?«
    »Nein, Monsieur.«
    De Roberval stand auf und trat zum Fenster.
    »Die Ohren abzuschneiden wäre eine gerechte Strafe, findest du nicht?«
    Marguerite schwieg. Ihr gegenüber war der Onkel niemals grob geworden, aber sie hatte Diener gesehen, denen der Onkel die Haut vom Rücken hatte peitschen lassen, weil sie ihren Dienst nicht ordentlich versehen hatten. Wenn er zornig war, konnte er furchtbar grausam sein.
    »Aber es ist meine Schuld«, fuhr de Roberval fort, »ich habe deine Erziehung zu sehr vernachlässigt und dich statt dessen diesem normannischen Weib überlassen.«
    »Damienne kann nichts dafür! Es war meine Idee! Sie hat sogar versucht, es zu verhindern.«
    »Es scheint, als würdest du ihr allmählich über den Kopf wachsen. Nun, wie auch immer, es sieht so aus, als würde sich in naher Zukunft einiges ändern. Wir werden bald mehr Zeit miteinander verbringen, und dann werden wir sehen, ob es mir nicht doch noch gelingt, eine anständige junge Dame aus dir zu machen.«
    De Roberval ging zurück zum Schreibtisch und setzte sich wieder.
    Marguerite fühlte sich unbehaglich. Ihr Onkel hatte noch keine Strafe ausgesprochen. Warum ließ er sie nur so lange zappeln? Und was würde sich in Zukunft ändern?
    »Weißt du, was das ist, mein Kind?«
    »Eine Landkarte, Monsieur.«
    »Weißt du auch, was sie darstellt?«
    Marguerite trat näher heran. Sie betrachtete die seltsamen Fabelwesen, die geheimnisvollen Inseln und Flüsse und Landschaften mit ihren fremdartigen Namen.
    Der Onkel wartete ihre Antwort gar nicht erst ab: »Manche sagen, es sei die Ostküste Asiens, andere glauben, es sei eine ganz neue, unbekannte Welt.«
    »Gibt es dort wirklich Einhörner?«, fragte Marguerite, die die Abbildung eines solchen Tieres entdeckt hatte.
    »Das weiß niemand mit Bestimmtheit zu sagen, Marguerite. Aber es ist möglich. Es gibt dort riesige Wälder und große Ländereien, in denen nur einige Wilde wohnen.«
    »Sind das die Wilden?«, fragte Marguerite und deutete auf die Gruppe unterhalb des Wappens.
    »Ja. Es heißt, daß sie ihre Haut rot anmalen.«
    »Haben sie keine Kleidung?«
    »Oh, soweit ich weiß, schon. Monsieur Cartier hat einen interessanten Bericht für den König verfaßt. Du solltest ihn lesen. Zur Vorbereitung.«
    Marguerites Augen begannen, in einer Vorahnung zu leuchten.
    »Vorbereitung? Worauf, Monsieur?«
    »Der König hat vor, ein neues Frankreich auf der anderen Seite des Ozeans zu schaffen - und ich bin der Mann, der es gründen wird. Selbstverständlich wird meine Nichte mich begleiten, denn was wäre ein Königreich ohne eine Prinzessin?«
    Marguerite war sprachlos - etwas, was sehr selten geschah. Sie starrte ihren Onkel ungläubig an. Er lächelte.

 
Fontainebleau
     
    Der Winter war noch einmal zurückgekommen, mit viel Schnee und beißendem Frost, und so brach die Gesellschaft in einer weiß verhüllten Winterlandschaft zu ihrer Reise zum Königshof auf. In der Kutsche würde es auf geradem Weg gute drei Tage bis nach Fontainebleau dauern - wenn alles gut ging, kein Rad von der Achse sprang und sich keines der Pferde verletzte. Doch sie brachen bereits fünf Tage vor dem vereinbarten Termin auf, weil de Roberval die Fahrt nutzen wollte, um einige seiner Güter an den Ufern der Oise zu inspizieren. So erklärte er es zumindest. In Wahrheit war es einfach nur viel billiger, auf den eigenen Gütern zu übernachten, als sich in den Gasthäusern entlang des Weges
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