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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Autoren: C.H.Beck
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das Mittelalter sollten die Auffassungen des Kirchenvaters Augustinus (354–430), seit 395 Bischof im nordafrikanischen Hippo Regius, werden. Wenn auch die Geduld (
tolerantia
) nach seiner Auffassung eine soziale und christliche Grundtugend darstellte, so fand diese Tugend doch im Umgang mit den Häretikern ihre Grenze. Aus dem biblischen Satz
compelle intrare
(Lk 14,23 – «Zwinge sie, hineinzukommen», spricht der Herr zu seinem Knecht, als zu seinem geladenen Gastmahl niemand erscheinen will) machte er eine theologisch legitimierte Verfahrensweise gegen hartnäckige, bekehrungsunwillige Ketzer. In Zwangsmaßnahmen sieht er das letzte Rettungsmittel gegenüber dem drohenden Verlust des Seelenheils der Betroffenen; auch ein Arzt müsse schließlich seinem Patienten Schmerz zufügen. Die Todesstrafe jedoch lehnte er ab.
    Aus dem Frühmittelalter hören wir wenig über die Auseinandersetzung zwischen Orthodoxie und Häresie. Offenbar blieben die inneren Herausforderungen begrenzt. Die Jahrhunderte nach dem Fall Roms hatten die alten Häresien weitgehend zum Verschwinden gebracht. Die Energien der Kirche waren jetzt fast völlig durch die Heidenmission und den – oft mit rüder Sprache und Gewalt geführten – Kampf gegen pagane Formen des «Aberglaubens» gebunden. Dogmatische Streitfragen blieben auf die Welt der gelehrten Theologen, des Klerus und der Klöster begrenzt und führten nicht zu häretischer Gemeinschaftsbildung. Das Auftauchen erster kleiner Ketzergruppen am Beginn des 11. Jahrhunderts mag umgekehrt als Zeichen für den vorläufigen Abschluß der christlichen Missionierung und eine beginnende Internalisierung christlicher Lehren betrachtetwerden. Vermehrt wurden der Abstand zwischen Klerikern und Laien als kritikwürdig empfunden, ebenso das häufig wenig vorbildliche Verhalten der Geistlichkeit. Volksbewegungen allerdings erwuchsen daraus vorerst nicht. Die kirchlichen und weltlichen Gewalten hatten keine frische Anschauung von Ketzern und griffen bei ihrer Behandlung auf antike Vorbilder zurück. Dabei oszillierte das Vorgehen zwischen den beiden extremen Polen Überzeugung (
persuasio
) und Zwang (
coercio
). 1022 fand in Orléans die «erste offizielle Ketzerverbrennung Frankreichs, ja vielleicht Europas» (Fichtenau) statt. Mehrere hohe Geistliche wurden wegen Leugnung der Jungfrauengeburt Christi, der Passion und der Auferstehung sowie Ablehnung von Taufe und Eucharistie als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt; entschieden hatte über ihr Schicksal eine Bischofssynode in Gegenwart König Roberts des Frommen.
    Das Beispiel sollte langfristig Schule machen, kurzfristig repräsentierte es aber keineswegs einen common sense. Wenige Jahrzehnte später beantwortete Bischof Wazo von Lüttich (gest. 1048) eine Anfrage über die Behandlung manichäischer Häretiker mit dem Verweis auf das biblische Gleichnis vom Unkraut im Weizen. Dieses Unkraut hatte der Feind eines Gutsherren unter den guten Weizen gesät. Der Herr gab Anweisung, das Unkraut mit dem Weizen wachsen zu lassen bis zur Ernte, damit nicht mit dem Unkraut auch der Weizen herausgerissen werde. Die Ernte, so deutete Jesus selbst sein Gleichnis, sei das Jüngste Gericht, bei dem die Söhne des Bösen, das Unkraut also, ihrer gerechten Strafe zugeführt würden (Mt 13,24–30. 36–43). Deswegen plädierte Wazo für Geduld und Langmut mit den Häretikern. Bischöfe könnten nur mit geistlichen Sanktionen (z.B. Exkommunikation) gegen Ketzer vorgehen, ihre Aufgabe sei es, Leben zu bringen und nicht den Tod.
    Die Ambivalenz zwischen Überzeugung und Zwang mußte vorläufig nicht ausgetragen werden. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts hören wir kaum mehr von ketzerischen Gruppen. Die gregorianische Reformbewegung hatte viele umstrittene Praktiken zu beseitigen versucht, etwa die Ämterkäuflichkeit (Simonie, auch sie als Häresie bezeichnet!) und die Priesterehe,und den Ketzern damit den Wind aus den Segeln genommen. Der Investiturstreit und die orthodoxe Reformbewegung beschäftigten eine breite Laienöffentlichkeit. Diese Mobilisierung gipfelte im enthusiastischen Echo breiter Bevölkerungsschichten auf den ersten Kreuzzugaufruf Papst Urbans II. 1095. Auf Dauer freilich enttäuschte die Reform viele Anhänger durch ihren vielfach lediglich formell-rechtlichen und auf den Klerus bezogenen Charakter. Bedürfnisse der Laien fanden kaum Berücksichtigung, obwohl deren Potential aufgrund des sozialgeschichtlichen Strukturwandels des
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