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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Autoren: C.H.Beck
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verdächtige Pfarreien visitieren. Drei oder mehr Personen von gutem Leumund, wenn nötig auch die gesamte Nachbarschaft, wurden eidlich verpflichtet, ihm Verdächtige anzuzeigen; als Vorbild diente hier das seit Jahrhunderten bekannte Sendgerichtsverfahren mit seinen Geschworenen (
testes synodales
). Die Angezeigten hatten sich in der Regel durch einen Reinigungseid vom Ketzereiverdacht zu befreien. Jeder Eidesverweigerer galt als Ketzer, weil die Häretiker die Ableistung eines Schwures aufgrund biblischen Gebotes (Matt. 5,34) generell für unstatthaft hielten. Damit bekam der Purgationseid des Verdächtigen, der zum traditionellen Instrumentarium von weltlichen und kirchlichen Strafverfahren gehörte, im Kontext des Ketzerverfahrens eine neue Funktion als probates Mittel zum Aufspüren von Ketzern.
    In eine neue Phase trat die kirchliche Ketzerbekämpfung, als Innozenz III. 1198 auf den Papstthron gelangte. Dieser «Juristenpapst» baute die Kurie zu einer umfangreichen Zentralbehörde aus, systematisierte das Kirchenrecht und betonte sowohl gegenüber konkurrierenden weltlichen Gewalten als auch gegenüber den anderen Bischöfen seine herausgehobene Stellung als Stellvertreter Christi auf Erden. Dem Ketzerproblem versuchte er sowohl mit Integrationsangeboten als auch mit Repression beizukommen.So konnte er die Humiliatenbewegung und einen Teil der Waldenser wieder in den Schoß der Kirche zurückführen. In diesem Kontext ist auch das Wohlwollen für die Büßergemeinschaft des heiligen Franziskus von Assisi zu sehen. Davon, daß Innozenz andererseits entschlossen den Kampf gegen die häretischen Bewegungen aufnahm, zeugt nicht zuletzt seine gezielte Förderung antihäretischer Prediger wie z.B. des Dominikus, des Gründers und Namensgebers des Predigerordens.
    Die Ketzergesetzgebung Papsts Innozenz III. (Dekretale
Vergentis in senium
von 1199) ging von dem Grundsatz aus, daß gegen Ketzer ebenso verfahren werden solle wie gegen Majestätsverbrecher, und rechtfertigte so z.B. weitreichende Güterkonfiskationen. Die Parallelisierung von Verbrechen gegen die weltliche und die göttliche Majestät, die Schaffung eines
crimen laesae maiestatis divinae
, öffnete einer Legitimierung der Todesstrafe durch die Kirche Tür und Tor. So wurde immer deutlicher festgeschrieben, daß die Ketzer vor weltlichen Gerichten mit der Todesstrafe zu rechnen hatten. Den Präzedenzfall bildete ein Ketzergesetz des Königs Peter II. von Aragón von 1197/98; dort wurde den Häretikern als Hochverrätern neben der Güterkonfiskation auch der Feuertod angedroht. Wegweisend sollte dann die Ketzergesetzgebung Kaiser Friedrichs II. werden, insbesondere eine Bestimmung vom März 1224 für die Lombardei: Vom Bischof überführte und verurteilte Ketzer sollten an die lokalen Gewalten überstellt und mit kaiserlicher Autorität verbrannt werden. Wolle man sie zur Abschreckung leben lassen, dann sollten sie nach dem Prinzip der spiegelnden Strafe die Zunge verlieren, mit der sie den Glauben der Kirche geschmäht und den Namen des Herrn gelästert hätten. Nicht nur diese Strafe belegt, daß sich in den Augen des Herrschers Häresie, Gotteslästerung und Majestätsbeleidigung einander stark angenähert hatten. Auch in den Konstitutionen von Melfi von 1231 für Sizilien wird die Häresie als eine schwere Form des Majestätsverbrechens verurteilt.
    Seinen wichtigsten Beitrag zur Ketzerverfolgung lieferte Papst Innozenz III. mit der Initiierung eines neuartigen Untersuchungsverfahrens, dem Inquisitionsprozeß (
inquirere
= aufspüren),der das wichtigste Charakteristikum der neuen kirchlichen Ketzerverfolgung werden sollte. Nicht umsonst gab das Verfahren der ganzen Institution ihren Namen! Gleichsam den nordwesteuropäischen Normalfall eines Strafprozesses bis zum 13. Jahrhundert stellte der Akkusationsprozeß dar. Er folgte der Maxime «Wo kein Kläger, da kein Richter»; ohne Anklage durch eine Streitpartei unterblieb die rechtliche Überprüfung und Sanktionierung eines Sachverhaltes. Aus eigenem Antrieb konnte ein Richter nicht tätig werden, er hatte lediglich die formale Korrektheit des gerichtlichen Streitaustrags zu überwachen, der mit archaischen Beweismitteln (Gottesurteilen, Reinigungseiden) ausgefochten wurde. Der Inquisitionsprozeß beruhte dagegen auf einer völlig anderen Rechtsphilosophie. Danach konnte der Richter unter bestimmten Umständen – nämlich dann, wenn der schlechte Leumund (
mala fama
) einer Person ruchbar
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