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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Autoren: C.H.Beck
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konnten die beschriebenen Häretiker doch insgesamt schnell an Boden gewinnen, eigene Bistümer gründen und Synoden abhalten. Ihre Zentren lagen vor allem in Südwestfrankreich (wo sie nach ihrem Hauptort Albi Albingenser genannt wurden) und in Nord- und Mittelitalien (wo sie oft als Patarener firmierten). Auch wenn es bei den Katharern spätestens seit den 1180er Jahren zu inneren Spannungen und Abspaltungen kam, gewannen sie Anhänger bei den einfachen Leuten ebenso wie in den höchsten regionalen Adelskreisen. Von vielen wurde die katholische Kirche als zu «verweltlicht» und damit unglaubwürdig empfunden. Die Katharer präsentierten mit ihren «Vollkommenen» eine Alternative in Gestalt einer Priesterelite, die ihre moralischen Prinzipien kompromißlos zu leben versprach. Die einfachen Gläubigen mußten sich der rigoristischen Lebensführung zunächst nicht unterwerfen, aber auch ihnen winkte eine Heilsgarantie in Gestalt der Geisttaufe (
consolamentum
).
    Die Katherer blieben nicht die einzige Herausforderung an die römische Kirche. Ab 1173 formierte sich um den Kaufmann Valdes in Lyon eine Gruppe von
pauperes Christi
, die bald als «Arme von Lyon» oder nach dem Stifter einfach als Waldenser bezeichnet wurden. Es handelte sich um eine stark am Evangelium orientierte Bewegung, die trotz rechtgläubiger Glaubensbekenntnissevon Papst Lucius III. 1184 zu Ketzern erklärt wurde, vor allem wegen der von ihr praktizierten Laienpredigt. Mit der Zeit entfernte sie sich in Lebensführung und Anschauung weiter von der Orthodoxie, verachtete Altäre und Kreuzverehrung, lehnte Schwören, Lügen und Töten als Todsünde ab und verwarf die Lehre vom Fegefeuer als unbiblisch.
    Wie sollte die Kirche derartige, bisher unbekannte Massenbewegungen bekämpfen? Der eingangs zitierte Bericht Everwins zeigt eine Hilflosigkeit im Umgang mit den neuen Gegnern, die sich so schnell nicht verlieren sollte. In der ersten Zeit gelangen der Orthodoxie kaum durchschlagende Erfolge. Das zur Verfügung stehende Instrumentarium war begrenzt. Die Bischöfe, Hauptträger der kirchlichen Ketzerverfolgung, gingen lokal zersplittert gegen die Ketzer vor und waren unsicher, wie hart sie durchgreifen sollten. Als eigene Strafmaßnahme stand der Kirche die Exkommunikation zur Verfügung, ein Schwert, das gegen Menschen stumpf bleiben mußte, die die Legitimität der Kirche ohnehin bestritten. Vor der Bestrafung mußten zudem Entdeckung und Überführung erfolgen. Auch hier fehlte es an effizienten Methoden. Gottesurteile, wie sie 1114 in Soissons praktiziert wurden, waren bereits in dieser Zeit umstritten. Das Vierte Laterankonzil sollte sie 1215 als unzulässigen Versuch, Gott zu zwingen, endgültig verbieten.
    Das späte 12. Jahrhundert wurde vor diesem Hintergrund zu einer Phase des Experimentierens im Umgang mit Ketzerei. Viele in dieser Zeit propagierte Maßnahmen stellten Mosaiksteine im sich langsam herauskristallisierenden System der Ketzerbekämpfung dar. Bereits in den Entschließungen des Dritten Laterankonzils von 1179 finden sich ein bedingter Aufruf zum Kreuzzug gegen die Ketzer und entsprechende Ablaßversprechen für deren Gegner. Neben dem Anathema, dem Ausschluß aus der kirchlichen Gemeinschaft, drohte das Konzil den Ketzern und ihren Unterstützern auch körperliche Bestrafung an: Obwohl die Kirche keine blutigen Strafen verhänge, könne die Angst vor körperlicher Bestrafung doch der seelischen Bekehrung Vorschub leisten, so hieß es. Die vielleicht wichtigste Bestimmung jedoch verfügte die Konfiskation des Besitzes, dienicht nur den Häretiker selbst, sondern seine gesamte Familie und Nachkommenschaft treffen sollte. Die Güterkonfiskation stammte ursprünglich aus dem Römischen Recht und hatte dort im Fall von Majestätsverbrechen Anwendung gefunden (Gesetz
Quisquis
von 397).
    In seiner Dekretale
Ad abolendam
von 1184 bestimmte Papst Lucius III., Häretiker, die ihren Irrtümern nicht öffentlich abschwören wollten oder rückfällig waren, sollten dem «weltlichen Arm» zur geschuldeten Strafe (
animoadversio debita
) übergeben werden. Alle Unterstützer der Ketzer, so der Papst weiter, verfielen überdies dem Verdikt der Infamie, der Unehrenhaftigkeit, und verloren damit ihre Fähigkeit zur Ausübung öffentlicher Ämter, ebenso ihre Gerichts-, Testaments- und Erbfähigkeit. Zukunftsweisend waren auch die päpstlichen Bestimmungen zum Aufspüren der Ketzer. Alle Bischöfe sollten zwei- oder dreimal im Jahr
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