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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Autoren: C.H.Beck
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Fall der Templer ebenso geschah wie später bei Jeanne d’Arc, dann spiegelt sich hierin gleichsam der Normalfall einer Epoche, in der Politik und Religion noch nicht funktional geschieden waren. Und wenn die Inquisition sich zum Teil aus den konfiszierten Gütern ihrer Opfer finanzierte, dann ging sie hier den gleichen Weg, den viele andere Gerichte ebenfalls – wenngleich nicht derart konsequent – einschlugen.
    Überhaupt wäre der Vergleich zwischen der Praxis inquisitorischer Ketzerverfolgung und derjenigen anderer weltlicher oder kirchlicher Gerichte lohnend, der hier leider nur gelegentlich eingebracht werden kann. Eine große Schnittmenge existiert schon im Hinblick auf das Verfahren. Denn der summarische Ketzerprozeß stellte nur eine Ausprägung jener Verfahrensform dar, die als «Inquisitionsprozeß» auch bei kontinentaleuropäischen weltlichen Kriminalgerichten üblich war. Kirchliche Inquisitoren behaupteten mithin keineswegs ein Monopol auf die Anwendung von Inquisitionsprozessen! Auch die Zuständigkeiten überschnitten sich: Einerseits griff die Inquisition weit über den Kernbereich der Häresie aus und ahndete Delikte wie Wucher, Magie, Hexerei, Gotteslästerung oder Sitten- und Sexualvergehen. Umgekehrt besaß sie fast nie und fast nirgends ein Monopol auf die Verfolgung von Ketzern. Bischöfliche, landesherrliche oder städtische Gerichte waren hier oft ebenfalls aktiv, und ihre Verfolgungspraxis war zum Teil wesentlich härter als diejenige der Inquisition. Konkurrenz gab es überdies nicht nur zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit, sondern auch innerhalb der letzteren. Bischöfe und päpstliche Inquisitoren wetteiferten bisweilen um das Recht zur Ahndung von Häresien. Und auch die Antipoden der Inquisition kamen oft aus dem Klerus. Mit Bernard Délicieux entstammte der schärfste Kritiker der dominikanisch geführten Inquisition in Südfrankreich dem Franziskanerorden, dessen Mitglieder andernorts als Inquisitorenfungierten.
Die
Kirche existierte in Mittelalter und früher Neuzeit ebensowenig wie
die
Inquisition.
    Die Verfolgung Andersgläubiger gehört schließlich nicht zu den exklusiven Charakteristika der Papstkirche. Der führende protestantische Theologe Philipp Melanchthon befürwortete 1536 die Todesstrafe für die Täufer – als angebliche Gotteslästerer, nicht als Ketzer. 1553 wurde auf Betreiben Jean Calvins der Gelehrte Michael Servetus (der im übrigen zunächst von der katholischen Inquisition im französischen Vienne festgenommen worden war) wegen seiner eigenwilligen Dreifaltigkeitstheologie hingerichtet. Und im elisabethanischen England wurden Hunderte von katholischen Geistlichen exekutiert; freilich lautete formal der Vorwurf gegen sie nicht auf Häresie, sondern auf Hochverrat. Die von Rom verketzerten Protestanten und Anglikaner bedienten sich mithin anderer Tatbestände als dem der Häresie. Und fast immer agierte hier die Staatsgewalt direkt. Nur in der Tradition der römischen Mehrheitskirche bildeten sich jene spezifischen Formen institutioneller Ketzerverfolgung aus, die hier unter dem Begriff Inquisition dargestellt werden sollen.
    Die Darstellung kann auf dem soliden Fundament der Arbeit von Generationen von Historikern aufbauen. Seit gut einhundert Jahren hat sich die Inquisitionsgeschichtsschreibung langsam aus dem Sog konfessioneller Auseinandersetzungen gelöst, und in den letzten Jahrzehnten hat die Beschäftigung mit dem Stoff noch einmal an Intensität zugenommen. Insbesondere die Bearbeitung der enormen Aktenmassen über regionale Inquisitionsprozesse und -tribunale hat große Fortschritte gemacht. Diese Akten geben Auskunft über die Arbeit des inquisitorischen Repressionsapparates. Sie berichten aber auch vom Leben derjenigen, die von den Inquisitoren verfolgt wurden, und geben so gleichsam nebenher wichtige Einblicke in das Alltagsleben, in religiöse Mentalitäten und Handlungsmöglichkeiten einfacher Zeitgenossen – ein weiterer zentraler Aspekt, der im Rahmen dieser Skizze nicht entfaltet werden kann. Carlo Ginzburg hat vom «Inquisitor als Anthropologen» gesprochen, der gleichsam als Vorfahr des Ethnologen die Lebenswelt der einfachen Menschenerkundete. Der italienische Historiker wußte selbst, daß er mit seiner provozierenden Charakterisierung nur die halbe Wahrheit traf. Denn der Inquisitor beobachtete nicht nur, er handelte auch, indem er abweichendes religiöses Verhalten diagnostizierte und sanktionierte. Ebenso wie es
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