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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Autoren: C.H.Beck
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heute Polizei und Justiz tun, konstruierte er damit ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit, indem er Verhalten als abweichend etikettierte. Nicht selten neigte er dazu, sich diese Wirklichkeit nach seinen Vorannahmen und Verdachtsmomenten zurechtzubiegen, sie etwa mit Kategorien zu erschließen, die er aus der Lektüre der Kirchenväter kannte. Mittels seiner subtilen, bisweilen auch rabiaten Befragungstechniken gelang es ihm im Zweifel immer, sein Vorverständnis mit der Wirklichkeit zur Deckung zu bringen. Das Imaginarium der Inquisition konnte so fatale Wirkungen in der Lebenswelt hervorrufen wie im Fall der spanischen
Conversos
, die in ihrer Masse wohl erst durch die Aktionen der Inquisition und durch die Zwangstaufe verketzert wurden. Ganz fatal wurde es, wenn sich inquisitorische Verschwörungsängste in Phantasien über schwarze Messen luziferanischer Ketzer oder gar zauberischer Unholde entluden. So können Inquisitionsakten beides enthalten, ein lebhaftes und angemessenes Bild der Zeit und die Verzerrungen inquisitorischer Stereotype.
    Nicht nur die zeitgenössischen Inquisitoren, auch die nachgeborenen Historiker haben ihr Imaginarium. Als «Mythenjäger» (Elias) haben sie die Pflicht, herkömmliche Bilder auf ihre Stichhaltigkeit zu untersuchen und, wenn notwendig, zu revidieren. Zudem haben sie die Entstehung und Wandlung von Mythen aufzuklären, denn diese Mythen selbst sind geschichtsmächtig. Auch dazu macht das vorliegende Buch einen Ansatz. Schließlich steht der Historiker in der Pflicht, zum Mythos Stellung zu nehmen und Urteile zu fällen. Das ist weniger einfach als es scheint. Manch wohlfeile Anklage gegen die Schrecken der Inquisition erscheint durch die neuere Forschung überholt. Umgekehrt birgt ein revisionistischer Ansatz die Gefahr einer Verharmlosung. Das ist ebensowenig die Absicht des Verfassers wie konfessionelle Apologetik. Auch die Revisionen der neueren Forschung machen klare Werturteile über das Wirken derInquisition nicht obsolet. Sie bleibt ein Beispiel für die fatalen Konsequenzen eines Apparates, der den wahren Glauben mit inhumanen Mitteln verteidigen wollte, eines Apparates, der vielleicht weniger aufgrund seiner vielbeschworenen Grausamkeit und des oft übertrieben gezeichneten Blutzolls, als vielmehr aufgrund der Entwicklung subtiler Machttechniken zukunftsweisend bis hinein in die Moderne wirkte.

II. Kirche und Ketzer bis zum 12. Jahrhundert
    Als monotheistische Offenbarungsreligion besitzt das Christentum einen absoluten Wahrheits- und Exklusivitätsanspruch. Seine Vertreter verkünden die göttliche Wahrheit auf der Grundlage der heiligen Schriften des Alten und des Neuen Testamentes. Darin unterschied sich das Christentum von den meisten anderen Religionsgemeinschaften der Antike, denen der Gedanke an eine verbindliche und einzig wahre Lehre fremd anmutete. Die Christen aber provozierten religiöse Auseinandersetzungen sowohl nach außen, gegenüber anderen Glaubensrichtungen, als auch nach innen, gegenüber heterodoxen christlichen Strömungen. Erbitterte Streitigkeiten um christliche Rechtgläubigkeit muten heute fremdartig an, der Ruf nach Toleranz und friedlicher Koexistenz erscheint uns vernünftig und im Licht des Gebotes der Feindes- und Nächstenliebe sogar christlich. Die Mehrzahl der Christen in den letzten zwei Jahrtausenden (eingeschlossen diejenigen, die von der Mehrheit als Ketzer stigmatisiert wurden) konnten diese Perspektive nicht einnehmen. Die Frage des rechten Glaubens berührte die existentiellsten Angelegenheiten; auf der Suche nach dem allein selig machenden Weg zum ewigen Heil schienen Kompromisse kaum möglich.
    In den ersten dreihundert Jahren nach der Zeitwende sahen sich die Christen zunächst selbst staatlicher Verfolgung ausgesetzt, u.a., weil sie den zur Loyalitätssicherung verpflichtend gemachten religiösen Kaiserkult nicht praktizieren wollten. NachdemKaiser Konstantin (306–337) in der Schlacht an der Milvischen Brücke unter dem Christusmonogramm seinen entscheidenden Sieg errungen hatte, erlangte das Christentum aber 313 mit dem Mailänder Toleranzedikt eine offizielle Duldung. In den folgenden Jahrzehnten expandierte es von einer mäßig bedeutsamen Sekte zu einer reichsumspannenden Großorganisation und wurde 380 von Kaiser Theodosius I. (379–395) zur römischen Staatsreligion erhoben. Zugleich vollzog sich im Inneren des Christentums ein allmählicher Klärungsprozeß, in dessen Verlauf sich das christliche Dogma
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