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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Autoren: Dan Simmons
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voran, und die große, markante Nase, hohe Stirn, der breite Mund und die traurigen, intelligenten Augen nahmen gerade erst Gestalt an. Viele Flüchtlinge der Hegemonie, die auf Hyperion gestrandet waren, hatten sich dagegen ausgesprochen, daß Rithmet Corber III., Urenkel des Bildhauers, der das Antlitz des Traurigen Königs Billy dort geschaffen hatte, Meina Gladstones Bild in den Berg meißelte, aber der Künstler – und nebenbei derzeitige Besitzer des Berges – hatte so diplomatisch wie möglich »Verpißt euch!« gesagt und die Arbeit fortgesetzt. Noch ein Jahr, möglicherweise zwei, und sie würde vollendet sein.
    Brawne seufzte, rieb sich den runden Bauch – eine Zärtlichkeitsbekundung, die sie bei schwangeren Frauen stets unmöglich gefunden hatte und jetzt selbst nicht lassen konnte – und ging schwerfällig zu einem Liegestuhl auf dem Aussichtsdeck. Wenn sie mit sieben Monaten schon so kugelrund war, wie würde sie dann erst im neunten Monat aussehen? Brawne sah zur gekrümmten Wand des gewaltigen Tragkörpers auf und verzog das Gesicht.
     
    Aufgrund günstiger Winde dauerte die Reise mit dem Luftschiff nur zwanzig Stunden. Brawne döste einen Teil des Wegs, betrachtete aber überwiegend die vertraute Landschaft, die unter ihr dahinzog.
    Am späten Vormittag passierten sie die Schleusen von Karla, und Brawne lächelte und klopfte auf das Paket für den Konsul, das sie mitgebracht hatte. Am Spätnachmittag, als sie sich der Hafenstadt Naiad näherten, sah Brawne aus einer Höhe von rund tausend Metern auf eine alte Passagierbarke hinunter, die von Mantas mit ihrem V-förmigen Kielwasser stromaufwärts gezogen wurde. Sie fragte sich, ob es sich um die Benares handeln könnte.
    Sie überflogen Edge, als das Abendessen auf dem Oberdeck serviert wurde, und setzten zur Überquerung des Grasmeeres an, als der Sonnenuntergang gerade die gewaltige Steppe in Farben tauchte und das Gras sich im selben Wind wiegte, der das Luftschiff vorantrieb. Brawne trug ihren Kaffee zu ihrem Lieblingssessel auf dem Zwischendeck, riß ein Fenster weit auf und betrachtete das Grasmeer, das sich ausdehnte wie der Filz auf einem Billardtisch, während die Dämmerung hereinbrach. Kurz bevor auf dem Zwischendeck die Lampen angezündet wurden, wurde sie mit dem Anblick eines Windwagens belohnt, der von Nord nach Süd seinem Weg folgte; Laternen schwangen an Bug und Heck. Brawne beugte sich nach vorn und konnte deutlich das Rumpeln des großen Rads hören sowie das Klatschen der Segel, als der Wagen hart nach Backbord drehte und eine neue Richtung einschlug.
    Als Brawne nach oben ging und in den Bademantel schlüpfte, war ihr Bett im Schlafsaal bereit, aber nachdem sie ein paar Gedichte gelesen hatte, begab sie sich wieder aufs Aussichtsdeck, wo sie bis zur Dämmerung in ihrem Lieblingsliegestuhl döste und den frischen Grasgeruch von unten einatmete.
    Sie legten lange genug in Pilgrim's Rest an, bis sie frische Lebensmittel und Wasser und neuen Ballast geladen und die Besatzung gewechselt hatten, aber Brawne ging nicht nach unten, um einen Spaziergang zu machen. Sie konnte die Lichter der Arbeiter am Bahnhof der Seilbahn sehen, und als die Reise fortgesetzt wurde, schien das Luftschiff der Reihe der Kabeltürme in der Bridle Range zu folgen.
    Als sie die Berge überquerten, war es immer noch ziemlich dunkel, und ein Steward kam und versiegelte die hohen Fenster, damit der Druck in den Kabinen nicht absank, aber Brawne konnte dennoch Seilbahnkabinen erkennen, die zwischen den Wolken von Gipfel zu Gipfel zogen, und die Gletscher, die im Licht der Sterne funkelten.
    Kurz nach der Dämmerung flogen sie über Keep Chronos, doch die Steine des Schlosses verströmten selbst im rosa Licht der Morgendämmerung kein Gefühl von Wärme. Dann wurde die Wüste der Hochebene sichtbar, die Stadt der Dichter leuchtete weiß an der Steuerbordseite, und das Luftschiff sank Richtung Anlegeturm am Ostende des neuen Raumhafens dort.
    Brawne hatte nicht damit gerechnet, daß jemand sie empfangen würde. Ihre sämtlichen Bekannten glaubten, daß sie am Spätnachmittag mit Theo Lane in dessen Gleiter fliegen würde. Aber Brawne war der Meinung gewesen, die Reise mit dem Luftschiff wäre genau richtig, einmal mit ihren Gedanken allein zu sein. Und sie hatte recht gehabt.
    Aber noch bevor das Anlegetau straffgezogen und die Rampe gesenkt wurden, sah Brawne das bekannte Gesicht des Konsuls in der Menge. Neben ihm stand Martin Silenus, der die Stirn runzelte
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