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Die Hurenkönigin und der Venusorden

Die Hurenkönigin und der Venusorden

Titel: Die Hurenkönigin und der Venusorden
Autoren: Ursula Neeb
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das Bürgerrecht erhaltet! So etwas gibt es im ganzen Abendland für Huren nicht.«
    »Das Bürgerrecht hat sie nicht nur für sich erstritten, unsere Meistersen«, warf die alte Irmelin ein. »Auch wir anderen haben am Anfang des Jahres das Bürgerrecht erhalten. So ist sie halt, unsere Gildemeisterin.«
    »Ihr seid eine großartige Frau, Zimmerin. Und ich muss zugeben, dass wir nicht nur wegen der Messe hierhergekommen sind. Ich wollte Euch auch unbedingt einmal kennenlernen.«
    Die Hurenkönigin schüttelte verlegen den Kopf. »Jetzt ist es aber genug mit der Bauchpinselei. Erzählt lieber mal von Euch. Wann hat man denn Euer Frauenhaus geschlossen?«
    »Im Januar«, antwortete Alma, der unversehens die Tränen kamen. »Ich kann es einfach nicht verwinden. Das Frauenhaus war mein Zuhause, ich bin dort mehr oder weniger aufgewachsen. Meine Mutter – Gott hab sie selig – war nämlich auch eine Hure, und außerdem die Frauenhauswirtin. Das hat in unserer Familie eine lange Tradition. Ich wurde ihre Nachfolgerin, und meine Tochter Irene sollte ebenfalls einmal Hurenkönigin werden.«
    Ursel hörte ihr interessiert zu. »Dann seid Ihr ja eine richtige Hurendynastie«, sagte sie beeindruckt.
    »Ja, das sind wir. Und nicht nur das, wir stehen in der viel älteren Tradition der römischen Venuspriesterinnen. Die heiligen Tempeldirnen des Altertums lehrten nicht nur die Sexualriten, sie waren auch sehr angesehen und überdies hochgebildet. Sie verkehrten mit den großen Gelehrten ihrer Zeit auf Augenhöhe. Zu Ehren der Erdenmutter trugen sie ockerfarbene Gewänder – was sich ja bis in die Gegenwart im gelben Gewand der Huren erhalten hat. Mit dem großen Unterschied, dass Gelb inzwischen als die Farbe der Liederlichkeit gilt und Huren allgemein verachtet werden. Das haben wir der Kirche und den Pfaffen zu verdanken«, schnaubte Alma verächtlich.
    Irmelin und Ursel lauschten ihr gebannt. »Das ist ja famos, mit den Venuspriesterinnen«, stieß Ursel begeistert hervor. »Erzählt mir mehr von ihnen.«
    »Alma Mater nannten die Römer jede Priesterin der Göttin Venus. Das heißt Seelen-Mutter«, fuhr Alma fort. »Nach ihr bin ich benannt. – Meine Mutter war eine sehr gelehrte Frau. Sie beherrschte die alten Sprachen und hat ihr Wissen an mich weitergegeben. Auch das gehört in unserer Familie zur Tradition. Denn nur weil Huren in unserer heutigen Zeit verachtet werden, müssen sie ja nicht auch noch ungebildet sein.«
    »Dann könnt Ihr auch lesen und schreiben? Ich beneide Euch darum!«, rief Ursel aus. »Meine verstorbene Freundin Ingrid, die frühere Lohnsetzerin des Frauenhauses, konnte es auch und war zudem sehr gebildet. Und mein Geliebter Bernhard von Wanebach – vielleicht habt Ihr schon von ihm gehört – ist ein großer Gelehrter, der sogar mehrere Doktorhüte erworben hat. Ihr müsst ihn unbedingt kennenlernen. Am Wochenende kommt er vorbei.« In Ursels Augen war ein zärtlicher Ausdruck getreten.
    Alma schwieg einen Moment und schüttelte unwillig den Kopf. Dann erzählte sie weiter von der langen Tradition der Venuspriesterinnen.
    Als der Frauenhausknecht am Tresen die Schelle läutete und damit die Sperrstunde verkündete, sagte die Hurenkönigin: »Eure Geschichten sind einfach phantastisch. Aber wir müssen leider Schluss machen – für heute jedenfalls.« Sie lächelte versonnen und erhob den Trinkbecher. »Wollen wir nicht auf das ›Du‹ anstoßen? Wir sind doch etwa im gleichen Alter!«
    »Gerne«, erwiderte Alma bewegt. »Dann müssen wir uns aber auch küssen.« Spontan umarmte sie Ursel und küsste sie mitten auf den Mund.
    Irmelin warf den beiden einen missmutigen Blick zu. »Wir kennen uns seit über dreißig Jahren, und ich duze Euch nicht«, grummelte sie verdrossen.
    Ursel umhalste die alte Hure übermütig. »Dann wird es aber langsam Zeit!«, erklärte sie warmherzig und prostete Irmelin zu. »Komm her, altes Haus, und lass dir auch einen Kuss geben!«
    Irmelin lächelte zwar, als die Hurenkönigin sie küsste, aber dann verabschiedete sie sich knapp. »Ich geh dann mal ins Bett. Gute Nacht.«
    »Wir sollten auch langsam nach oben gehen«, sagte Ursel und gähnte herzhaft.
    Als die beiden Frauen wenig später in Ursels Stube ihre Nachtgewänder überzogen, fiel der Hurenkönigin an Almas Hals ein eigentümliches Amulett auf. Sie trat näher und nahm es genauer in Augenschein. Es war aus Gold und hatte die Form einer Mondsichel.
    »Hat dieses Schmuckstück eine besondere Bedeutung?«,
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