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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers
Autoren: Tatjana Stöckler
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drehte sich um sich selbst und schlenkerte die Glieder. Luzia konnte ihren Blick nicht von dem geschwollenen Gesicht reißen. Blau verquollen drängte sich die Zunge zwischen die wulstigen Lippen, die Augen starrten trübe. Der Knoten des Seils lag nicht, wie es sich gehörte, hinter dem Ohr, sondern im Nacken, das Genick wies auch nicht den üblichen Knick auf. Das bedeutete, dass der Tote vor seiner Erlösung hatte leiden müssen – Absicht oder ein Stümper als Henker?
    Die Schlinge hatte sich tief in den Hals eingefressen, dessen Farbe oberhalb der Einschnürung tief violett, darunter fahl weiß leuchtete. Ein Hemd trug der Tote nicht mehr. Seine Brust wies Brandmale auf, Spuren der Folter. Schaudernd wollte Luzia die Augen abwenden, aber es gelang ihr nicht. Sie brachte es lediglich fertig, dass ihr Blick langsam tiefer wanderte. Ihre mühsam aufrecht erhaltene Fassung bröckelte. Auf einmal überfiel sie Übelkeit. Die rechte Hand fehlte.
    Magdalene packte Luzia am Arm und zog sie vorwärts, an der Leiche vorbei. »Komm weiter, Liebes, dieser Anblick ist nichts für dich in deinem Zustand.«
    Ihr Zustand hatte gar nichts damit zu tun, dass sie am liebsten schreien wollte. Diese barbarische Strafe des Handabhackens für Diebstahl hatte sich als Stachel in ihrem Hinterkopf festgesetzt. Wie ein Damoklesschwert schwebte die Furcht über ihr, eines Tages so zu enden. Frauen hängte man nicht so schnell, wenn man sie beim Diebstahl erwischte, doch das andere wünschte sich Luzia keinesfalls.
    Als sie an dem Hingerichteten vorbeitrat, enthüllten ihre aufgerissenen Augen weitere Schrecknisse: Der Gehenkte war nicht der einzige, wenn wohl auch der frischeste. Hinter ihm baumelten am gleichen Balken mindestens fünf oder sechs, der letzte nur noch ein mit schwarzen Fetzen behängtes Skelett. Ein Stück weiter erhoben sich Räder in den Himmel, auf denen menschliche Überreste verrotteten. Vom Fleisch entblößte Sehnen hielten zerschmetterte Knochen um die Speichen geschlungen, während schwarze Vögel beim Streit um die letzten Brocken grinsende Schädel hin und her schwingen ließen.
    Dunkelheit schob sich von den Seiten in Luzias Blickfeld, wollte das Grauen hinter einem Schleier der Ohnmacht verhüllen. Ihre Knie begannen zu zittern, sich in Hirsebrei zu verwandeln.
    »Lumpenpack! Diebsgesindel, Abschaum, Geschmeiß, Hundsfott!«
    So laut dröhnte die Stimme mit seltsamem Akzent über den Richtplatz, dass Luzias Schultern sich verkrampften und sie wieder Gefühl in ihren Beinen spürte. Energisch drückte sie das Kreuz durch und trat einen Schritt rückwärts, um nicht umzufallen. Magdalene hängte sich mit einem Stöhnen an Luzias Arm. Vom anderen Ende der Lichtung rannte ihnen ein breitschultriger Mann entgegen, der einen dicken Knüppel schwang.
    »Wenn ich die erwische, denen steche ich die Augen heraus!«
    Wutschäumend stürmte der Riese dicht an ihnen vorbei, wobei er mit seiner Waffe in den Wald drohte. Keuchend hielt er an und sah sich um, blieb beim Galgen stehen und schüttelte den Kopf. »Dem armen Teufel auch noch die Hände abscheiden, wo kommen wir da hin?« Entschuldigend wandte er sich zu den beiden Frauen herum. »Gekennt habt Ihr die nit?«
    Eifrig schüttelte Luzia den Kopf und vermied es, auf die rechts grün und links rot gefärbte Kleidung des Mannes zu starren. Er glättete sein wirr hochstehendes Haar und auf einmal trat ein Lächeln in sein Gesicht, eine Metamorphose, die ihn zu einem anderen, freundlichen Menschen machte – wenn auch zu einem sehr großen. »Vergebt mir, Ihr Frauen. Tat ich Euch bös erschrecke‘?«
    Magdalene wich zurück und Luzia musste ihr folgen, wenn sie nicht umfallen wollte. Sie schüttelte den Kopf und deutete in die Richtung, wohin derjenige verschwunden war, der sie fast umgerannt hatte. »Nein, das haben andere besorgt. Dies ist doch nicht der Weg nach Marburg?«
    Der Henker zupfte an seinem zweifarbigen Wams und wies mit dem Kopf an dem Gehenkten vorbei in die Richtung, aus der sie kamen. »Eine halbe Meile zurück teilt sich der Weg. Nach Westen hättet Ihr Euch wenden müssen, nicht nach Süden. Doch von hier aus könnt Ihr Euch nach den Augen richten.«
    Seine Hand deutete voraus und tatsächlich konnte Luzia im Morgendunst die charakteristische Silhouette des Marburger Schlosses erkennen, das über den Kirchtürmen thronte.
    »Sagte ich nicht, dass der Weg nicht stimmt?«, meldete Magdalene. Furchtsam duckte sie sich. »Das waren doch keine …
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