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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers
Autoren: Tatjana Stöckler
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beißt sich die Zunge blutig und schlägt um sich. Mir wird immer angst und bange, weil es mir nicht gelingt, sie zu beruhigen. Einmal wäre sie fast in ihrer Raserei in die Kalkgrube gefallen.« Das Mädchen schluckte und polierte das Geldstück mit ihren Fingern. »Dann wäre sie jetzt blind«, flüsterte sie.
    Das arme Ding machte dabei einen so elenden Eindruck, dass es Frank in der Seele leidtat. »Gerberin ist sie?«, fragte er.
    »Der Gerber ist der Einzige, der sie noch arbeiten lässt, seit der Priester gesagt hat, sie sei vom Teufel besessen.«
    Wie oft hatte Frank schon an Verhören teilgenommen, bei denen jemand, den der Veitstanz befiel, der Hexerei angeklagt wurde! Und jedes Mal, ob der gestand oder nicht, blieb bei ihm ein schaler Geschmack zurück, dass hier einem Irren etwas untergeschoben wurde, denn niemals war der Verkehr mit dem Teufel glaubwürdig für ihn. Und Irre durften nicht gerichtet werden, man musste sie in Obhut geben. Doch das war nicht Sache des Henkers, das musste der Richter entscheiden. Und was Frank von Richtern hielt, war wieder eine ganz andere Sache.
    »Was tat er denn dagegen?«, fragte er und versuchte, das Mitleid aus seiner Stimme zu bannen.
    »Messen lesen, Segen sprechen, mit ihr beten, eine Austreibung. Nichts hat geholfen.«
    Sie sah wehmütig auf ihr Goldstück, Frank vermutete, was diese Prozeduren sie gekostet hatten. »Und jetzt hoffst du auf das Dunkel.«
    Sie schauderte.
    »Du kannst dein Goldstück behalten, wenn du mir einen Gefallen tust.«
    Hoffnungsvoll sah sie auf und schloss die Finger fest um das Geld, gleichzeitig blitzte Misstrauen in ihrem Blick auf.
    »Stell dir vor, ein Mädchen kommt in Schwierigkeiten – an wen wendet sie sich?«
    Entsetzt starrte sie ihn an. »Keine Hebamme würde ihr das wegmachen! Dies ist ein gottesfürchtiger Landstrich!« Kurz musste er überlegen, weshalb sie so auffuhr, dann spürte er Hitze in seine Wangen fluten. »Nein, natürlich nicht. Das hätte ich auch nie vermutet. Glaub mir, Mädle, ich habe genügend Weiber verbrannt, die selbiges vollbrachten. Kindsmord ist das größte Verbrechen. Nein, wenn die Zeit kommt, wer nimmt sie auf? Ein Kloster? Das Armenhaus?«
    »Frau Mechthild«, antwortete sie spontan, »die Gattin des Apothekers.« Auf Franks fragenden Blick sprach sie weiter. »Der Apotheker Henslin Nungässer von Gryeßheim. Er hat seine Apotheke in der Krebsgasse, wo er auch lebt. Seine Frau Mechthild, der gute Engel, betreibt eine Zuflucht für gefallene Mädchen auf dem Lahnberg, möge der Heiland sie segnen.«
    Frank deutete vage in die Richtung, aus der vorhin die Kutsche gekommen war. »Dort oben? So weit außerhalb der Stadt?« Er dachte an die Räubergeschichten, wohl genau wie das Mädchen.
    Sie zuckte die Achseln. »Diesen Weibern ist nicht viel mehr Leid zuzufügen.« Frank fuhr zusammen, worauf sie einen Schritt zurückwich. »Die gute Frau Mechthild verdingt sechs kräftige Knechte, die für ihren Schutz sorgen«, beeilte sie sich zu beschwichtigen. »Mehrere Dutzend Mädchen leben dort, aber kein Strauchdieb würde das gottesfürchtige Werk stören! Die honorigsten Bürger der Stadt besuchen Frau Mechthild regelmäßig für die Wohlfahrt.«
    Nachdenklich biss Frank auf seine Lippe. Dort hineinmarschieren würde er schwerlich können. Er zog eine Münze aus seiner Börse und reichte sie ihr.
    »Du sollst einen Gang für mich tun. Gehe zu dieser Zuflucht und finde für mich heraus, ob eine Rothaarige dort Unterschlupf fand. Sie trägt ein Amulett um den Hals, einen Bernstein. Nimm das Silber und bringe mir deinen Krug, den will ich dir umsonst füllen, wenn du mir berichtest, was das Besondere an diesem Bernstein ist.«
    Zögerlich griff das Mädchen nach dem Geldstück, wobei sie tunlichst nicht seine Finger berührte, dann fuhr sie auf dem Hacken herum und rannte in den Wald.
    Frank seufzte. Ob er diesmal Glück hatte?
    ---
    Mit einem leisen Schmerzlaut sank Luzia auf die Bettkante. Nur gut, dass Lukas sie so nicht sah, sondern oben auf seinem Turm die Sterne beobachtete. Das Ziehen im Kreuz nahm zu, als sie sich legte, und ließ nur allmählich nach. Am liebsten hätte sie noch einmal gestöhnt, aber die Wand zwischen ihrem und dem Schlafzimmer von Magdalene bestand nur aus provisorisch eingezogenen Brettern, bis die bestellten Handwerker endlich kamen und sie aufmauerten. Die Schwägerin würde sofort auf der Schwelle stehen, wenn Luzia Hilfe benötigen könnte. Nein, Mitleid wollte sie nicht.
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