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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon
Autoren: Ulf Schiewe
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aufgewühlt. Noch weniger war ich auf das vorbereitet, was sich am frühen Nachmittag auf der
caularia,
dem Marktplatz vor dem Palast, abspielen sollte.
    Hatte ich geglaubt, nur wenige würden ihr Tagewerk für einen hohen Kirchenmann unterbrechen, so wurde ich eines Besseren belehrt. Von überall her waren sie zusammengeströmt und hatten stundenlang gewartet, um den ehrwürdigen Abt zu hören. Der sonst so beschauliche Marktplatz war ein Meer von Köpfen und Leibern, schien zu beben und zu branden, das Stimmengewirr unbeschreiblich. Menschentrauben drängten sich auf den Wehrgängen der flussnahen Mauer, und sogar auf den Dächern harrten sie geduldig trotz des kalten Windes, der vom Meer her über die Stadt fegte. Von den Zinnen des erzbischöflichen Palastes gegenüber flogen und knatterten kirchliche Banner wie nur an den höchsten Festtagen, während zerrissene Wolkenmassen über den Winterhimmel segelten.
    In wollene Tücher und einen Pelz gehüllt, stand ich auf der Zinne des
palatz vescomtal,
an meiner Seite
Fraire
Aimar, Raimon und Felipe de Menerba. Von hier oben konnten wir alles überblicken. Viele erkannten mich und winkten mir zu.
    Eine Rednertribüne war eilig gezimmert worden. Davor schützten Soldaten des Erzbistums einen mit Seilen abgesteckten Bereich für den Stadtadel und die reiche Bürgerschaft, die sich heute in festlichen Farben und Gewändern zeigten. Gassenjungen gaben sich verstohlen Zeichen. Dies war ein großer Tag für Spitzbuben und Beutelschneider.
    Am Wassertor brach eine wütende Rempelei aus, als noch mehr Menschen auf den Platz drängten. Mitten in diesem Geschiebe sah ich Mütter mit Säuglingen auf dem Arm, sogar eine Schwangere, die ohnmächtig in den Armen ihres Mannes lag, während Beistehende ihr Luft zufächelten. Unter mir, am Fuß der Palastmauer, schrie ein kleines Mädchen nach der Mutter. Ein Wachmann fischte es aus dem Gedränge, bevor es erdrückt wurde, und wischte ihm die Tränen von den Bäckchen. Am liebsten hätte ich es selbst in die Arme genommen und musste doch über meine Vernarrtheit lächeln. Hatte ich denn nur noch Augen für Kinder und schwangere Weiber?
    »Da kommen sie«, rief Raimon und deutete auf den Bischofspalast, wo Wachleute mit Schild und Speer eine Schneise durch die Menge bahnten.
    Ein Raunen brandete jetzt über den Platz, jeder reckte den Kopf. Von Bewaffneten umgeben und vom Jubel der Umstehenden begleitet, bewegte sich Abt Bernards hohe Gestalt langsam auf die Tribüne zu, gefolgt von Erzbischof Leveson, der vom Domdechant gestützt wurde. Trotz seiner Altersschwäche wollte Leveson es sich wohl nicht nehmen lassen, ein wenig vom Glanz seines Besuchers abzubekommen. Dabei hätte der Gegensatz zwischen beiden nicht größer sein können. Leveson unter seidenem Baldachin im prunkvollen, goldverzierten Ornat des Kirchenfürsten. Clairvaux dagegen nach wie vor in einfacher Mönchskutte.
    Vielleicht liebten sie ihn deshalb, denn das Freudengeschrei toste zu einem ohrenbetäubenden Sturm auf, als er die Bühne erklomm. So hatten sie auch mich einmal geehrt, damals vor vier Jahren, als es gelungen war, im Handstreich die Stadt zu nehmen, meine Stiefmutter zu vertreiben und die verhasste Tolosaner Fremdherrschaft abzuwerfen. Ich stellte mir vor, wie Clairvaux sich fühlen musste, wie er von der Tribüne herunter die begeisterten Massen zu seinen Füßen segnete.
    »Seltsam, wie die Dinge sich verkehren«, raunte Bruder Aimar mir zu. »Lange Zeit wollte niemand mehr etwas von einem Krieg gegen die Ungläubigen wissen. Outremer, das war weit. Höchstens etwas für überzählige Söhne und landlose Abenteurer. Aber seit Clairvaux seine Predigten hält, weht ein gewaltiger Sturm durch alle Lande.«
    »Als hätten wir nicht genug mit anderen Dingen zu tun.«
    »Nicht nur zu den Türken wollen sie den Krieg tragen, auch die Wenden, östlich des Elbflusses, sollen mit dem Schwert bekehrt werden. Und gegen die spanischen Mauren wird ebenfalls gerüstet.«
    »Das ist verrückt. Es macht mir Angst.«
    »Die Meute lechzt nach Blut. Am Rhein haben sie angefangen, Synagogen anzuzünden und die Juden umzubringen.«
    Mon Dieu,
dachte ich. In was für Zeiten leben wir?
    »Raimon, sieh zu, dass das Judenviertel gesichert ist. Du bürgst mir dafür.«
    Narbonas große jüdische Gemeinde leistete einen bedeutenden Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlergehen der Stadt und genoss mein besonderes Wohlwollen.
    »Die Streifengänger wurden bereits verdoppelt«, erhielt
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