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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon
Autoren: Ulf Schiewe
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schließlich blutend auf der Wallstatt liegen. Plötzlich war mir, trotz des Feuers im Kamin, kalt geworden, und ein neuerlicher Anflug von Übelkeit plagte mich.
    »Ihr seid bleich,
Midomna
«, hörte ich den Abt wie aus der Ferne sagen. »Ist Euch nicht wohl?«
    »Nichts. Es ist nichts«, erwiderte ich und riss mich zusammen. Raimon, der mich besser als alle kennt, erhob sich und reichte mir zur Beruhigung einen Kelch mit verdünntem Wein.
    »Wie ich also sagte«, fuhr der Abt fort. »Es werden tatkräftige Ritter gebraucht.«
    »Und die glaubt Ihr hier zu finden?«, fragte ich ungebührlich scharf. »Ist das der Zweck Eurer Ansprache auf dem Marktplatz? Um Soldaten zu werben wie ein Kriegsherr?«
    Bernard sah mich erstaunt an, und ich bemühte mich, den Ton zu mäßigen. »Was ist so bedeutsam an diesem Edessa und ob es von Christen oder Ungläubigen beherrscht wird?«
    Der Abt lehnte sich zurück. Solche Fragen hatte er wohl nicht erwartet. Unbewusst tastete seine Hand nach dem kleinen silbernen Kreuz auf seiner Brust. Dann lächelte er.
    »Wir dürfen nicht vergessen, dass Edessa schon immer von Christen bewohnt war, Armeniern in der Hauptsache. Seit ihrer Befreiung im Jahre 1097 ist diese Stadt ein wichtiges Bollwerk gegen die Ungläubigen gewesen, und daher ist es unerträglich, sie in türkischer Hand zu wissen.«
    Er hielt kurz inne und blickte von einem zum anderen. Dann sprach er in einem Ton, als wollte er uns in sein Vertrauen ziehen: »Aber es geht ja nicht nur um Edessa. Die Wahrheit ist, dass alles, was unsere Väter im Heiligen Land erwirkt haben, Gefahr läuft, für immer verlorenzugehen. Täglich erreichen uns Hilferufe. Wir können Outremer zurzeit nur halten, weil die Ungläubigen untereinander uneins sind. Hauptsächlich fehlt es an Mannschaften. Einwanderer aus dem Westen sind nicht in den Scharen gekommen wie erwartet, und auf die Treue der eingeborenen Bevölkerung allein darf man sich nicht verlassen. Selbst unter den griechischen Christen finden sich Verräter.«
    »Gibt es denn keinen anderen Weg als Krieg? Wie können wir als fromme Christen Krieg überhaupt gutheißen?«
    Bernard ließ sich von mir nicht aus der Ruhe bringen. Er nickte wohlwollend, ganz als sei ich einer seiner Domschüler, dem eine kluge Entgegnung eingefallen war. »Diese wichtige Frage hat uns der heilige Augustinus ausführlich beantwortet. Natürlich ist Krieg an sich eine schreckliche Angelegenheit und nicht zu befürworten. Aber wenn der Satan selbst uns in Gestalt dieser Gottesleugner angreift und unsere Heiligtümer schändet, dann müssen wir uns wehren, dann ist ein Heiliger Krieg die einzige und gerechte Antwort.«
    Eine gute Rede. Doch ich wollte mich von solchen Zungenfertigkeiten nicht beirren lassen. »Es ist zwar schon fast fünfzig Jahre her,
Mossenher,
aber wir alle wissen doch, wie viele bei der Befreiung Jerusalems elendig gestorben sind, von den heimkehrenden Krüppeln gar nicht zu reden. Eine ganze Generation junger Männer ist geopfert worden.«
    »Hat nicht auch der Heiland sich für uns geopfert? Schulden wir es nicht dem Gekreuzigten, für ihn zu kämpfen?«
    »Und was ist mit den Kindern, die ihre Väter verlieren werden? Denkt Ihr nicht an die guten Frauen, die ihre Männer hergeben, und die Mütter, die ihre geliebten Söhne in die Schlacht schicken sollen?«
    Abt Bernard sah mich immer noch mit diesem wohlwollenden Lächeln auf den Lippen an, während er gedankenverloren das Kreuz auf seiner Brust befingerte. Die dunklen Augen unter den buschigen Brauen hielten mich mit sanfter Gewalt und schienen mir tief in die Seele zu blicken.
    »Lasst Euer Herz leer werden,
Domna
Ermengarda«, sprach er in leisem Ton. »Macht es leer von menschlichen Sorgen und Nöten und füllt es allein mit Gott.«
    Es war still im Raum. Nur das Feuer knisterte. Das Blut pochte mir in den Schläfen, aber ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Es war, als spürte ich eine höhere Gegenwart um uns herum.
    »Hat die Jungfrau Maria nicht ebenfalls einen Sohn in Schmerzen geboren und ihn geliebt wie keinen anderen?«, hörte ich ihn sagen. »Und hat ihn dennoch hergegeben, für uns alle geopfert, auf dass wir erlöst werden von den Sünden der Welt? Wollen wir jetzt so kleinmütig sein, dies zu vergessen und uns verweigern, wenn Gott uns ruft?«
    Ich sah ihn betroffen an.
    Was konnte man darauf erwidern?
    ♦
    Entgegen meinen guten Vorsätzen hatte die Begegnung mit dem Abt von Clairvaux mich verunsichert und
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