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Die Hure Babylon

Die Hure Babylon

Titel: Die Hure Babylon
Autoren: Ulf Schiewe
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mehr, eher an Gottes Gleichgültigkeit gegenüber allem menschlichen Elend.
    Und vielleicht gab es ja gar keinen Gott. Ein lästerlicher Gedanke, der ihn aber seltsamerweise nicht erschreckte. Ganz im Gegenteil. Denn wenn es keinen Gott gab, dann gab es auch kein Fegefeuer, keine Hölle und kein Jüngstes Gericht. Nichts mehr, vor dem man sich fürchten musste, wenn man starb. Nichts in der Welt war dann für ihn zuständig, außer er selbst. Er mochte in diesem Loch verrecken. Doch solange er noch atmete, war er niemandem etwas schuldig, nicht einmal diesem abwesenden Gott. Er war allein, aber für sich selbst verantwortlich und frei. Ein Gedanke, der ihn belebte.
    Was bedeutete es schon, ob er in einem stinkenden Verlies lag. Änderte das etwas an seiner Seele? Denn die Seele war allein sein wirkliches Wesen. Ich bin ich, dachte er. Und ich bin Herr über meine Seele. Niemand in der Welt kann mir das nehmen. Ob er Wut, Furcht oder Gleichmut empfand, all das hing allein von ihm selbst ab. Ja, er hatte seine Hand verloren. Aber das hätte ihm jederzeit auch in der Schlacht geschehen können. Es war keine Schande. Und ob er zwei Hände hatte oder nur eine, was machte das schon? Er würde lernen, mit einer zurechtzukommen. Und auch mit einem Auge ließe sich noch gut sehen. Und selbst wenn er blind wäre. Der Leib ist nur eine vergängliche Hülle, in der die Seele wohnt. Und die ist unzerstörbar, sie überlebt sogar den Tod. Wovor sollte man sich also fürchten?
    Er beschloss, seine Furcht zu verbannen, sich nicht geschlagen zu geben, sich in Gleichmut zu üben. Nichts sollte ihn in seinem Inneren zerstören können. Er würde dieses Jammertal überstehen. Und er würde heimkehren. Wie, das wusste er noch nicht. Aber ihm würde etwas einfallen. Ihm war bisher immer etwas eingefallen.
    Er mühte sich auf die Füße und goss sich ein wenig Wasser über das Gesicht. Das Nass erfrischte ihn, erfüllte ihn mit Zuversicht. Noch war nichts verloren.

Epilog
    H iermit endet die Erzählung vom Ritter Arnaut und seiner Dame Ermengarda. Und von den Männern, ob König, Fürst oder Krieger, die auf den Papst und Abt Bernard gehört hatten und ausgezogen waren, die Heiden zu töten. Nicht zu schweigen von den Pilgern, den Frauen und Kindern, die ihnen auf dem langen Marsch gefolgt waren.
    Viele von ihnen fanden den Tod, die anderen mussten mit den Erinnerungen weiterleben. Die Vergänglichkeit ihrer Mühen lässt an den Vers des persischen Gelehrten und Poeten Omar Khayyam denken, der noch bis kurz vor diesen Ereignissen gelebt hatte.
     
    Geschlechter sind erglüht wie helle Funken,
    Haben gelebt, geliebt, gehasst, getrunken;
    Sie leerten hier ein Glas und sind verlöscht,
    Sind in den Staub der Ewigkeit versunken.
     
    Die persische Kultur hatte großen Einfluss auf die Seldschuken, und es ist durchaus denkbar, dass die edle Ayla Gelegenheit gehabt hatte, Verse dieser Art ihrem christlichen Freund Arnaut vorzutragen.
    Heimkehrer, wenn sie auf dem langen Weg nicht beraubt und erschlagen wurden, zeigten ihre schrecklichen Narben vor und erzählten den Daheimgebliebenen, wie es ihnen ergangen war. Aus solchen Schicksalen entstand ein Bild, wenn auch ein lückenhaftes. Wer mehr wissen wollte, der musste sich gedulden, bis ein paar Mönche, die dabei gewesen waren, ihre Chroniken verfassten. Sogar solche, die nicht dabei gewesen waren. Man beweinte die Toten und Verschollenen, entzündete Kerzen und betete für ihre Seelen, lauschte wehmütig den Liedern über Kampf und Heldenmut, und wer an den Fürstenhöfen Gelegenheit dazu hatte, lieh nur allzu gern sein Ohr dem Geflüster und den gehässigen Gerüchten über Hintergründe, Intrigen und Verfehlungen der Mächtigen, an denen es ja wahrlich nicht gemangelt hatte.
    König Louis und seine Alienor kehrten verbittert über das unrühmliche Ende des Pilgerzugs heim und waren fortan äußerst schlecht auf Clairvaux zu sprechen, den sie für dieses Missgeschick verantwortlich machten. Auch unter sich war das Paar so zerstritten, dass sie nicht einmal auf dem gleichen Schiff reisen wollten. Selbst dem Papst gelang es auf ihrem Weg durch Rom nicht mehr, das Zerwürfnis beizulegen. Alienor gebar dem König zwar noch eine zweite Tochter, aber das hinderte sie nicht, die Aufhebung dieser verhassten Ehe durchzusetzen und Henri d’Anjou zu heiraten, der kurz darauf König von England wurde.
    Ihm schenkte sie viele Söhne, wurde steinalt und verheiratete ihre Enkelkinder so erfolgreich an die
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