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Die Huette

Die Huette

Titel: Die Huette
Autoren: William P. Young
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aus der Stadt und ihrem Umland ein vereinter Seufzer erhebt, wenn die Natur sich einmischt und dadurch den erschöpften Menschen eine Atempause verschafft. Alle so Betroffenen sind unter dem Banner einer gemeinsamen Ausrede vereint, und das Herz wird plötzlich und unerwartet ein wenig taumelig. Keine Entschuldigungen sind nötig, wenn jemand nicht zu einem Termin erscheint. Die plötzliche Aufhebung des Zwangs, produktiv sein zu müssen, sorgt für unverhoffte Freude.
    Natürlich trifft es zu, dass Unwetter den Gang der Geschäfte unterbrechen. Und wenn sie auch einigen Unternehmern zu Zusatzeinnahmen verhelfen, verursachen sie doch bei vielen Verluste. Es gibt also Leute, für die es überhaupt kein Grund zur Freude ist, wenn das öffentliche Leben vorübergehend zum Erliegen kommt. Aber es gibt niemanden, dem sie die Schuld für Produktionsausfälle geben können, oder dafür, dass sie es nicht ins Büro schaffen. Auch wenn es kaum länger als ein oder zwei Tage dauert, fühlt sich doch jeder Mensch irgendwie als Meister seiner eigenen Welt, einfach nur, weil diese kleinen Wassertropfen gefrieren, wenn sie auf die Erde fallen.
    Selbst ganz alltägliche Aktivitäten werden zu abenteuerlichen Herausforderungen, die zu Klarheit und Konzentration zwingen. Am späten Nachmittag packte Mack sich warm ein und ging ins Freie, um sich die hundert Meter bis zum Briefkasten an der Straße vorzukämpfen. Das Eis hatte dieses simple Unterfangen in ein Ringen mit den Elementen verwandelt: Mack trotzte der brutalen Kraft der Natur und lachte ihr heroisch ins Gesicht. Dass niemand Zeuge davon wurde oder Anteil nahm, war ihm egal - einfach nur der Gedanke ließ ihn innerlich lächeln.
    Die Eiskörner stachen ihm in Wangen und Hände, während er sich behutsam auf dem leicht welligen Untergrund der Hauszufahrt vorarbeitete. Dabei dachte er, dass er vermutlich wie ein betrunkener Seemann aussah, der schwankend die nächste Hafenkneipe ansteuerte. Wenn man sich den Gewalten eines Eissturms aussetzt, geht das nicht aufrecht und mit unerschütterlicher Zuversicht. Mack musste sich zweimal von den Knien wieder aufrappeln, bis er endlich den Briefkasten umklammerte wie einen lange verlorenen Freund.
    Er hielt inne, um die Schönheit einer von Eiskristallen bedeckten Welt zu betrachten. Überall wurde das Licht reflektiert und tauchte den Spätnachmittag in schimmernden Glanz. Die Bäume auf dem Nachbargrundstück hatten durchscheinende Mäntel angelegt, und für ein paar kurze Augenblicke nahm diese Pracht die Last der Großen Traurigkeit von Macks Schultern.
    Mack brauchte fast eine Minute, um das Eis wegzuklopfen, das bereits die Klappe des Briefkastens versiegelt hatte. Lohn für seine Mühe war ein einziger Umschlag, auf den jemand mit der Schreibmaschine lediglich Macks Vornamen getippt hatte; keine Briefmarke, kein Poststempel und kein Absender. Neugierig riss er das Kuvert auf, was mit seinen von der Kälte bereits steif gewordenen Fingern gar nicht einfach war. Der Wind blies so stark, dass Mack kaum atmen konnte. Er kehrte dem Brausen den Rücken und schaffte es schließlich, einen kleinen Brief aus dem Umschlag zu fingern. Darauf stand mit Schreibmaschine geschrieben:

    Mackenzie,
es ist eine Weile her. Ich vermisse Dich.
Ich bin am nächsten Wochenende bei der Hütte, wenn Du mich treffen möchtest.
Papa
     
    Mack erstarrte, und eine Welle der Übelkeit stieg in ihm hoch, die sich rasch in Zorn verwandelte. Er vermied es nach Möglichkeit, an die Hütte zu denken, und wenn es doch geschah, waren seine Gedanken niemals positiv. Falls das ein böser Scherz sein sollte, war es wirklich ein voller Erfolg. Und dass der Brief mit »Papa« unterzeichnet war, machte es noch erschreckender.
    »Idiot«, brummte Mack und dachte dabei an Tony, den Postboten, einen übertrieben freundlichen Italiener mit großem Herzen, aber wenig Taktgefühl. Wieso hatte Tony ein so lächerliches Kuvert überhaupt zugestellt? Es klebte ja nicht einmal eine Briefmarke darauf. Wütend stopfte sich Mack den Brief in die Manteltasche und machte sich schlitternd auf den Rückweg, wobei er versuchte, halbwegs Kurs auf die Haustür zu halten. Die heftigen Windböen, die ihn auf dem Weg zum Briefkasten gebremst hatten, beschleunigten nun die Überquerung des Minigletschers, der unter Macks Füßen unaufhörlich an Dicke zunahm.
    Mack kam erstaunlich gut vorwärts, bis er zu jener Stelle der Zufahrt kam, wo der Weg nach links schwenkte und leicht bergab führte.
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