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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums
Autoren: Gabriela Galvani
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ein anderes Ziel.«
    Dunkel erinnerte sich Christiane an die Ohren eines Hasen zwischen den Grashalmen. Wenn Imhoff von der Kugel getroffen worden war, hatte das Tier überlebt. Grenzenlose Erleichterung erfasste sie. Tränen der Freude traten in ihre Augen und rannen über ihre Wangen, sie freute sich unendlich, dass das putzige Tier des Weges hoppeln durfte. Es war die Gerechtigkeit Gottes. Das Schicksal spielte mit den Lebewesen.
    Aber wieso führte Imhoff dieses Gespräch, wenn er dem Tod geweiht war? Sie versuchte sich aufzurichten ...
    Die schwielige Hand des Schäfers drückte sie auf die Trage zurück. »Erspart es Euch, Herrin, ein Bauchschuss ist kein Anblick für eine Dame.«
    Gott hat gewürfelt, fuhr es Christiane durch den Kopf.
    Ungeachtet des sie schützenden Mannes setzte sie sich auf und sah sich um. Sie befand sich im Innenhof eines Bauernhofs oder einer Posthalterei, auf den ersten Blick konnte sie es nicht genau erkennen, und noch mehr Männer als die beiden, deren Stimmen sie unterschieden hatte, schwirrten um sie und Imhoff herum, der auf einem Strohlager gebettet in ihrer Nähe lag.
    Er war ebenso bleich wie zornig, seine Kleidung blutdurchtränkt. Seine Hände ruhten auf einem Sack, der auf seinem Bauch lag und vermutlich die zerschmetterten, herausquellenden Eingeweide in seinen Körper zurückpressen sollte, doch offensichtlich fehlte ihm die Kraft dazu. Eine blutige Masse tropfte aus einer überraschend kleinen Wunde. Dennoch stand Georg Imhoff sicher entsetzliche Qualen aus.
    Christianes Herz glich einem Eisstück. Nicht der geringste Hauch eines Mitgefühls erfasste sie für den Mann, den sie einmal leidenschaftlich geliebt hatte. Sie wollte nur eine Antwort von ihm haben, bevor er in gnädige Bewusstlosigkeit sank.
    »Warum?«, schleuderte sie ihm entgegen. »Warum Sebastian Rehm?«
    Ein kehliges Lachen entfuhr ihm. Es klang höhnisch und gemein, als würde es vom Teufel ausgestoßen. Seltsamerweise erinnerte es Christiane an die Laute, welche die Besessene damals ausgestoßen hatte.
    »Dummheit muss bestraft werden – und Schwäche ... Der Trottel Rehm tat schon immer, was ihm aufgetragen wurde. Das einzige Mal, dass ich seiner Empfehlung folgte, wurde für mich zum Weg durch die Hölle. Er prahlte von einer Hure, der Lügner, die ich daraufhin natürlich besitzen musste. Rehm hatte sie nie, wie ich später erfuhr, aber ich steckte mich an. Das genügte allerdings, um ihn zu lenken. Auf dieser Basis pflegten wir unsere Freundschaft eine lange Zeit. Ich habe keine Ahnung, warum er sich plötzlich gegen mich stellte.«
    Er wollte seine Familie retten, dachte Christiane. Sein Gewissen war erdrückt von Schuld, die Zukunft des kleinen Johannes sollte nicht mit immer neuen, böseren Fälschungen verbunden sein. Ein zweites Kind war unterwegs, das sein Verantwortungsgefühl womöglich noch stärker herausforderte. Ihr fiel das Gespräch zwischen Sebastian, dem alten Titus und Severin ein, das sie belauscht hatte: Der Dichter-Freund hatte etwas Neues vorgeschlagen, womit er in Zukunft wahrscheinlich gutes Geld verdient hätte. Geschichten, die Reisende unterhielten. Aber da war Marthas Mann schon vom Tode gezeichnet gewesen.
    Nur mühsam konnte Christiane den Zwang unterdrücken,aufzuspringen und dem Körper des Widerwärtigen einen Tritt zu versetzen. Letztlich verdankte sie ihre Beherrschung nur den Schmerzen, die jede hastigere Bewegung durch ihre Glieder sandte.
    »Wann wird er sterben?«, erkundigte sie sich leise bei dem Schäfer.
    »Menschen mit einer Bauchwunde bleiben lange bei Bewusstsein. Ihr Ende ist jedoch vorbestimmt. Ein paar Stunden noch – wie es Gott gefällt.«

48
    Georg Imhoff starb drei Stunden später.
    Zu diesem Zeitpunkt wusste er, dass der unbekannte Wilderer dem Henker nur die Arbeit abgenommen hatte. »Ein Bauchschuss ist wohl angenehmer als der Scheiterhaufen«, kicherte er, vermutlich nicht mehr Herr über seinen Verstand. »Und allemal besser als das Rad.« Dann sank er in gnädige Ohnmacht.
    Kurz darauf krachte ein Donner, fast im selben Moment zuckte ein Blitz über den Abendhimmel. Der einsetzende Regen prasselte gegen die Fensterscheiben und übertönte Imhoffs letztes Röcheln.
    »Ich wünschte, ich könnte Mitleid für die verirrte Seele empfinden«, wisperte Christiane neben seinem Lager. »Aber ich bin leer, mein Herz ist wie ausgetrocknet. Da ist kein Gefühl mehr.«
    Wolfgang Delius nahm ihre Hand und umschloss sie fest mit seinen Fingern. »Lasst
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