Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten

Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten

Titel: Die Hudson Saga 01 - Haus der Schatten
Autoren: V.C. Andrews
Vom Netzwerk:
versuchte mit ihr zu reden, ihr etwas zu essen zu geben, aber anscheinend hörte sie mich nicht. Ich hatte große Angst, Angst um uns alle.
    Schließlich kam Ken nach Hause. Roy war zu der Zeit nicht da. Ich war froh darüber, weil sie sich bestimmt geprügelt
hätten. Beni und ich standen an der Tür unseres Zimmers und hielten die Luft an.Wir erwarteten, dass Mama vor Wut explodieren würde, wie wir es noch nie erlebt hatten, aber sie hielt uns alle zum Narren. Zu Anfang sprach sie ruhig, fragte ihn nur, warum er so etwas getan hatte, ohne ihr etwas davon zu sagen, und was er mit dem Geld gemacht hatte. Zuerst dachte ich, er würde es nicht sagen. Er ging durch die Küche, nahm sich ein Bier, schlang seine langen dicken Finger um die Flasche, öffnete sie und trank einen tiefen Schluck. Dann lehnte er sich an die Spüle.
    »Ich brauchte es«, sagte er schließlich, »um Schulden zu bezahlen.«
    »Schulden? Welche Schulden? Die Stromrechnung, die überfällig war? Die Zahnarztrechnungen für Beni und Rain? Welche Schulden, Ken?«, wollte sie wissen.
    »Schulden«, wiederholte er und mied ihren Blick. Sie erhob sich langsam.
    »Einen Teil des Geldes habe ich im Schweiße meines Angesichtes verdient. Habe ich kein Recht zu erfahren, was damit geschehen ist?«, fragte sie, immer noch bemerkenswert ruhig für ihre Verhältnisse.
    »Ich hatte Schulden«, wiederholte er.
    Sie schien sich aufzublähen, ihre schmalen Schultern hoben sich, ihr Busen richtete sich auf. Ich schaute Beni an. Ihr Gesicht war voller Wut, und mein Magen fühlte sich wie ein Hornissennest an.
    »Du hast unser Geld verspielt, nicht wahr, Ken Arnold? Na los, sag’s mir. Du hast das ganze Geld einfach weggeschmissen, Monate und Monate Arbeit – weg!«
    Er wandte sich ihr zu, die Bierflasche an den Lippen, sein Hals verrenkte sich wie der Körper einer Schlange. Plötzlich
schlug Mama ihm die Flasche aus der Hand. Sie flog quer durch die Küche und zerschellte auf dem Boden.
    Ken war verblüfft. Einen Augenblick lang konnte er sich nicht rühren. Er war so überrascht über ihre Aggression und ihre Wut, dass ihm die Luft wegblieb. Für Beni und mich war der Anblick von Mama, einen Meter zweiundsechzig groß, knapp fünfzig Kilo schwer, wie sie wutschnaubend vor Ken stand mit seinen ein Meter fünfundneunzig und hundertzehn Kilo, mit seinen breiten Schultern und dem dicken Hals, Furcht einflößend. Er konnte sie wie eine Fliege zerquetschen, aber sie streckte ihm drohend das Gesicht entgegen und zuckte nicht mit der Wimper.
    »Du gehst einfach hin, zerstörst meine Hoffnungen und sagst mir dann, es waren irgendwelche Schulden? Du vergießt mein Blut, meinen Schweiß auf der Straße und sagst mir, es waren nur irgendwelche Schulden?«
    »Hau ab, Weib«, sagte Ken, aber ich sah, dass er zitterte. Ob er vor Wut, die ihn zu überwältigen drohte, oder Angst zitterte, konnte ich nicht sagen. Plötzlich merkte er jedoch, dass wir auch da waren, und sein Stolz regte sich wie ein schlafender Löwe.
    »Was denkst du dir eigentlich dabei, mir mein Bier aus der Hand zu schlagen? Was?«, brüllte er, mit weit aufgerissenen Augen. »Du bist verrückt, und ich stehe nicht hier herum und höre mir an, was eine Verrückte sagt.«
    Er drehte sich um und stürmte aus dem Haus. Mama schaute ihm einen Augenblick nach und machte sich dann daran, den Dreck wegzumachen. Ich sprang ihr zu Hilfe.
    »Pass auf, dass du dich nicht schneidest, Rain«, warnte sie mich mit leiser, müder Stimme, als ich die Glasscherben aufhob. Beni saß zitternd auf ihrem Stuhl.

    »Ich mache das schon, Mama«, sagte ich.
    Sie widersprach nicht, sondern ging ins Schlafzimmer, um sich hinzulegen. Ich dachte, sie würde nie wieder aufstehen, aber irgendwie fand Mama die Kraft weiterzukämpfen, ihren Optimismus wiederzugewinnen, ihren Garten der Hoffnungen und Träume für uns alle neu zu bestellen.
    Ich glaube, es war mehr als alles andere Mamas Mut, der auch mir die Träume erhielt. Wenn sie so sein konnte nach allem, was ihr widerfahren war, musste ich, die ich viel jünger war und noch so viel Chancen hatte, voller Mut sein. Ich musste mich an mein Lächeln halten und durfte nicht wie Beni sein. Ich musste den Drang, alles und jeden zu hassen, unterdrücken. Ich durfte den blauen Himmel und die Sterne nicht aus den Augen verlieren, selbst an regnerischen Tagen, an vielen regnerischen Tagen.

    Unsere Schule war nicht besonders ansehnlich. Tatsächlich schloss ich oft die Augen, wenn ich um die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher