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Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers

Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers

Titel: Die Horde 2 - Die Tochter des Kriegers
Autoren: Ari Marmell
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der Ferne sah sie herrlich aus, vollkommen unberührt von der Zeit oder irgendwelchen Schwierigkeiten, und nur im hellsten Sonnenlicht waren die ausgebesserten Stellen zu erkennen. Obwohl sich die besten Handwerker der Stadt in den letzten sechs Jahren nach Kräften bemüht hatten, passte der neue Stein nicht ganz zum alten, was der Halle eine etwas fleckige Fassade verlieh, wie ein Gesicht mit Lepra im Anfangsstadium.
    Kaleb grinste verächtlich und ging weiter.
    Sechs Jahre …
    Vor sechs Jahren waren die Armeen von Audriss, der Schlange, und Corvis Rebaine, dem Schrecken des Ostens, vor Mecepheums Mauern aufeinandergetroffen. Sechs Jahre war es nun her, dass Audriss, von gestohlener Macht berauscht, Mecepheum in Angst und Schrecken versetzt und in einer geradezu apokalyptischen Vernichtungswelle ganze Häuserblocks in Schutt und Asche gelegt hatte. Sechs Jahre, das war mehr als genug Zeit für die Gilden, um Mecepheums Wunden zu heilen, wenngleich es ihnen nicht gelungen war, die Narben verschwinden zu lassen.
    Gewiss, die Bürger hatten die vernichteten Viertel eine Weile gemieden, ferngehalten von schmerzlichen Erinnerungen und abergläubiger Furcht. Aber die Möglichkeit, billigen Grundbesitz im Herzen der größten Stadt von Imphallion zu erwerben, war so verlockend, dass sie zahlreiche Interessenten von außerhalb anzog. Das wiederum inspirierte die Kaufleute und Adeligen von Mercepheum, selbst für das
Land zu bieten, damit kein Fremder es ihnen entreißen konnte. Der Wiederaufbau war zwar nur langsam in Gang gekommen, war jedoch inzwischen längst beendet.
    Ein Außenstehender, der die Geschichte der Stadt nicht kannte, hätte sich womöglich darüber gewundert, wie abrupt der alte Stein dem neuen Holz gewichen, wie schnell sich der Übergang von prachtvoll zu durchschnittlich vollzogen hatte. Gewiss wäre er jedoch niemals auf die Idee gekommen, dass hier ein großes Unglück geschehen war.
    Die zuversichtlichen, gelassenen Schritte der Bewohner in den reicheren und sichereren Vierteln verwandelten sich in den schnellen Gang derjenigen, die ihr Heim zu erreichen hofften, bevor sie in Schwierigkeiten gerieten. Oder aber in den verstohlenen Schritt derjenigen, die bereits in Schwierigkeiten steckten.
    Grölendes Gelächter drang trunken durch die Türen und Fenster etlicher Tavernen, hinter geschlossenen Fensterläden stritten Stimmen miteinander, und aus schmalen Gassen lockten die Rufe von Damen – und Herren – der Nacht. Kaleb ignorierte all das. Zweimal traten Männer aus einem Türeingang, derb gekleidete Gestalten mit bösartigem Gebaren, die taten, als wollten sie ihm in den Weg treten. Beide Male blinzelten sie jedoch unvermittelt, wobei ihre Gesichter schlaff wurden und ihre Mienen Verwirrung ausdrückten, und gingen einfach weiter, während Kaleb an ihnen vorübermarschierte.
    Der Regen war stärker geworden, drohte sich zu einem Sommergewitter zu entwickeln, als Kaleb endlich sein Ziel erreichte. Es war ein weiteres großes, etwas plumpes Gebäude, dessen Zweck er nicht einmal genau kannte. Vielleicht war es ein Lagerhaus? Aber das spielte keine Rolle. Kaleb interessierte sich nicht für die heutige Bedeutung des Gebäudes, sondern vielmehr für das, was es früher einmal gewesen war.

    Er ignorierte den Regen, setzte die Kapuze ab und blickte sich um. Seine Magie gewährte ihm eine Sicht auf die Dinge, die weit über das hinausging, was die Nacht jedem anderen erlaubt hätte. Selbst am helllichten Tag hätte niemand wahrnehmen können, was er sah, aber er hatte die Dinge klar vor Augen: verbranntes Holz und Asche, die letzten Reste des Gebäudes, das vor vielen Jahren an dieser Stelle gestanden hatte und längst mit der dunklen Erde eins geworden war.
    Er kniete sich in den Schmutz hinter dem nichtssagenden Bauwerk und grub mit den Händen ein Loch in die Erde, bis er bis zum Ellbogen darin steckte. Zuerst war es nur klebriger Sand, dann trockener Ton, den der Regen noch nicht erreicht hatte. Er roch nach Leben und Schmutz, nach lebenden und sterbenden Dingen.
    Er roch fast wie Mecepheum selbst.
    Kaleb war vor Konzentration angespannt und blendete die Welt um sich herum aus. Als wäre er im Regen geschmolzen, spürte er, wie er selbst, wie ihm die Essenz dessen, was er war, aus den Augen strömte wie Tränen und ihm über die Haut lief, wie sie von der gierigen Erde aufgesogen wurde. Er tastete umher, blind und dennoch alles andere als achtlos, suchend. Immer weiter suchend …
    Da.
    Er stand
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