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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin
Autoren: Philippa Gregory
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Handschriften besorgen, alte
Handschriften, älter als die Bibel, älter sogar als das Wort Gottes.
Ich hatte einen jüdischen Gelehrten gekannt, der diesem Manne ähnelte.
Auch er war in meines Vaters Buchladen gekommen und hatte nach
verbotenen Büchern gefragt, nach Fragmenten der Thora, nach den
Geboten. Der Jesuit und der Gelehrte waren oft gekommen, um Bücher bei
meinem Vater zu kaufen; und eines Tages waren sie nicht mehr gekommen.
Denn in dieser Welt konnten die Ideen gefährlicher sein als ein
Schwert: Die Hälfte von ihnen war verboten, und die andere Hälfte
konnte einen Menschen dazu bewegen, den Platz der Erde anzuzweifeln,
die doch so sicher im Zentrum des Universums steht.
    So beschäftigt war ich mit der Betrachtung dieser beiden
Männer – des jungen göttergleichen und des älteren
priesterhaften –, dass ich den Dritten fast übersehen hätte.
Jener war ganz in Weiß gekleidet, ein Weiß, das glänzte wie
emailliertes Silber. Ich vermochte ihn kaum anzuschauen, so hell
spiegelte sich die Sonne auf seinem funkelnden Umhang. Ich suchte nach
seinem Gesicht und fand nur ein Aufleuchten von Silber, ich blinzelte,
vermochte ihn jedoch immer noch nicht zu erkennen. Dann kam ich wieder
zu mir und merkte, dass die Herren, wer sie auch sein mochten, bereits
vor der Tür unseres Nachbarn standen.
    Ein rascher Blick auf unsere eigene Tür belehrte mich, dass
mein Vater im Hinterzimmer war und frische Tinte herstellte. Er hatte
mein Versagen, Kunden anzulocken, noch nicht bemerkt. Ich verfluchte
mich selbst, weil ich so untätig und tölpelhaft dastand, sprang ihnen
in den Weg und sagte artig mit meinem neu erworbenen englischen Akzent:
»Guten Tag wünsche ich, Sirs. Können wir Euch behilflich sein? Wir
haben die schönste Sammlung erbaulicher und moralischer Bücher, die Ihr
in ganz London finden könnt, die interessantesten Manuskripte zu
günstigen Preisen sowie bezaubernde Zeichnungen von bester Künstlerhand
und …«
    »Ich suche den Laden von Oliver Green, dem Drucker«,
unterbrach mich der junge Mann.
    Als seine dunklen Augen die meinen trafen, erstarrte
ich – es war, als stünden unversehens sämtliche Uhren Londons
still, als hätten ihre Pendel aufgehört zu schwingen. Ich wollte ihn
festhalten, dort, wo er jetzt stand, in seinem roten Wams mit den
geschlitzten Ärmeln im Wintersonnenschein. Ich wollte, dass er mich
anschaute und mich sah, wie ich wirklich war: nicht als Straßenjungen
mit schmutzigem Gesicht, sondern als Mädchen, fast eine junge Frau.
Doch sein Blick glitt gleichgültig über mich hinweg zu unserem Laden,
und ich besann mich und hielt den dreien die Tür auf.
    »Dies ist das Geschäft des Gelehrten und Buchdruckers Oliver
Green. Tretet ein, Mylords«, sagte ich einladend, dann rief ich ins
dunkle Hinterzimmer: »Vater! Hier sind drei edle Lords, die Euch
sprechen möchten!«
    Ich hörte das Klappern, als er den hohen Druckerstuhl
zurückschob. Dann kam er heraus, rieb sich die Hände an seiner Schürze
ab, von einem Geruch nach Tinte und heißem gepressten Papier begleitet.
»Willkommen«, sagte er. »Ich heiße Euch beide willkommen.« Er trug
seinen üblichen schwarzen Anzug, die Manschetten waren voller
Tintenflecke. Einen Moment lang sah ich ihn mit den Augen der Fremden:
Ein Mann von fünfzig Jahren, das dichte, durch Sorgen und Leid weiß
gewordene Haar, ein Gesicht voller tiefer Furchen, seine hohe Gestalt
gebeugt durch die Last der Gelehrsamkeit.
    Er gab mir mit einem Nicken ein Zeichen, und ich zog drei
Hocker unter der Theke hervor. Doch die Herren setzten sich nicht, sie
blieben stehen und schauten sich um.
    »Und womit kann ich Euch dienen?«, fragte mein Vater. Nur ich
erkannte seine Angst. Angst vor dem hübschen Adeligen, der nun den Hut
abgenommen hatte und sich das dunkel gelockte Haar aus dem Gesicht
strich, Angst vor dem schlicht gekleideten älteren Mann und Angst vor
dem Dritten, dem schweigenden Lord, der hinter ihnen stand, gekleidet
in blendend helles Weiß.
    »Wir suchen Oliver Green, den Buchhändler«, sagte der junge
Lord.
    Mein Vater neigte bejahend den Kopf. »Ich bin Oliver Green«,
sagte er leise mit seinem deutlichen spanischen Akzent. »Und ich werde
Euch dienen auf jede Art, auf die es mir möglich ist. Auf jede Art, die
den Gesetzen des Landes entspricht und seinen Gebräuchen …«
    »Ja, ja«, fiel ihm der junge Mann ungehalten ins Wort. »Wie
wir gehört haben, seid Ihr eben erst aus Spanien gekommen, Oliver
Green.«
    Wieder nickte
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