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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin
Autoren: Philippa Gregory
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fuhren wir mit dem
Schiff nach Bordeaux. Wir verbrachten die stürmische Überfahrt auf
Deck, ohne Schutz vor strömendem Regen und wehender Gischt, dass ich
schon fürchtete, wir müssten entweder erfrieren oder ertrinken. Die
kostbarsten Bücher hielten wir an den Leib gepresst wie Säuglinge, die
wir warm und trocken halten mussten. Weiter ging es über Land nach
Paris. Stets gaben wir vor, jemand anders zu sein, als wir in
Wirklichkeit waren: Kaufmann und Lehrjunge, Pilger auf dem Weg nach
Chartres, fahrende Händler, ein Kleinadeliger mit jungem Pagen auf
Vergnügungsreise, ein Gelehrter mit seinem Schüler auf dem Weg zur
berühmten Universität von Paris – alles nur, um nicht zu
verraten, dass wir frisch konvertierte Christen waren. Wir waren ein
verdächtiges Paar, dem der Rauch des Autodafé noch in den Kleidern
hing, und nachts wurden wir immer noch von Albträumen geplagt.
    In Paris trafen wir die Vettern meiner Mutter, und diese
schickten uns weiter zu ihren Verwandten in Amsterdam; von dort ging es
nach London. Wir sollten unsere Abstammung unter englischen Himmeln
verbergen, wir sollten Londoner werden. Wir würden protestantische
Christen werden. Wir würden lernen, unseren neuen Glauben zu mögen. Ich
musste es lernen.
    Die Verwandten des Volkes, dessen Name nicht ausgesprochen
werden darf, dessen Glaube verborgen ist, des zu ewiger Wanderschaft
verdammten und aus jedem Lande der Christenheit verbannten Volkes
lebten im Verborgenen, in London ebenso wie in Paris oder Amsterdam.
Wir alle lebten als Christen und gehorchten den Geboten der Kirche,
hielten die christlichen Feiertage und Fastenzeiten und Rituale ein.
Viele von uns glaubten wie meine Mutter ehrlich an beide Bekenntnisse
und hielten den Sabbat nur im Geheimen ab. Sie zündeten eine
abgeschirmte Kerze an, bereiteten das Mahl vor und verrichteten die
Hausarbeit am Vortag, damit der Sabbat geheiligt und dem Vortrag von
halb vergessenen jüdischen Gebeten vorbehalten blieb – um dann
am Sonntag vollkommen reinen Gewissens die christliche Messe zu
besuchen. Meine Mutter gab sowohl das fromme Wissen der Bibel als auch
Bruchstücke der Thora an mich weiter, die sie noch in Erinnerung hatte.
Verbunden mit diesen Lektionen war die Warnung, dass unsere
verwandtschaftlichen Bindungen und unser Glaube geheim seien, ein
tiefes und gefährliches Geheimnis. Wir sollten vorsichtig sein und auf
Gott vertrauen, wir sollten Vertrauen zu den Kirchen haben, die wir so
reich beschenkt hatten, und zu unseren Freunden: den Nonnen und
Priestern, die wir so gut kannten. Als die Inquisition kam, wurden wir
gefangen wie unschuldige Hühner, denen man die Hälse umdreht, statt sie
mit einem Hieb zu durchtrennen.
    Andere folgten unserem Beispiel und flüchteten ebenfalls. Auch
sie tauchten in den großen Städten der Christenheit unter, um
Angehörige ihres Glaubens zu finden, um Zuflucht und Hilfe bei
entfernten Vettern oder treuen Freunden zu suchen. Unsere Familie
empfahl uns mit Geleitbriefen an die Familie d'Israeli in London, die
dort unter dem Namen Carpenter lebte, arrangierte mein Verlöbnis mit
dem Sohn, bezahlte meinem Vater eine Druckerpresse und fand für uns ein
Ladenlokal nebst Wohnung in einer Seitenstraße der Fleet Street.
    In den Monaten nach unserer Ankunft lernte
ich, mich wieder einmal in einer neuen Stadt zurechtzufinden, während
mein Vater seine Druckerei einrichtete mit dem festen Vorsatz, unseren
Lebensunterhalt zu sichern. Von Anfang an bestand starke Nachfrage nach
seinen Büchern, insbesondere nach den Abschriften der Evangelien, die
er im Taillenbund seiner Kniehose verborgen ins Land gebracht hatte und
nun ins Englische übersetzte. Er kaufte Bücher und Manuskripte aus den
Bibliotheken von Klöstern und Abteien auf, die unter der Regentschaft
des Vorgängers von Eduard VI. zerstört worden waren. Eduards Vater,
Heinrich VIII. hatte die Weisheit von Jahrhunderten in alle Winde
zerstreut, und so horteten alle möglichen Läden alte Manuskripte, die
man im Dutzend erwerben konnte. Es war der Traum jedes
Bücherliebhabers. Jeden Tag machte mein Vater die Runde und kehrte
stets mit etwas Seltenem und Kostbarem zurück, und wenn er es gesäubert
und katalogisiert hatte, fanden sich ausreichend Käufer. Die Menschen
in London waren verrückt nach der Heiligen Schrift. Nachts noch setzte
mein Vater trotz Müdigkeit den Text, er druckte kleinere Ausgaben der
Evangelien und einfache Texte für die Gläubigen, alles in Englisch,
alles sehr
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