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Die Hofnärrin

Die Hofnärrin

Titel: Die Hofnärrin
Autoren: Philippa Gregory
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er rasch zu dem Mädchen an seiner Seite.
»Kein Wort von alledem, Liebchen. Du willst doch deine Stiefmutter
nicht aufregen!«
    Dieser Warnung hätte es kaum bedurft. Beim ersten Anzeichen
von Gefahr war Elisabeth bereits wachsam geworden. Sie strich ihr Kleid
glatt, spielte wie immer ihre Rolle, um zu überleben. Auf ihre
Doppelzüngigkeit konnte er sich stets verlassen. Sie mochte zwar erst
vierzehn Jahre zählen, war aber seit dem Tod ihrer Mutter in der Kunst
der Täuschung geschult worden, jeden Tag in zwölf langen Jahren. Und
sie war die Tochter eines Lügners – zweier Lügner, dachte er
voller Verachtung. Sie mochte körperliches Verlangen spüren, doch war
sie stets aufmerksam gegenüber Gefahren und überaus ehrgeizig. Er nahm
ihre kalte Hand und führte sie die Allee entlang seiner Frau Katharina
entgegen. Rang sich ein fröhliches Lächeln ab. »Habe ich sie doch
eingefangen!«, rief er laut.
    Argwöhnisch blickte er sich um, doch das Kind war nicht mehr
zu sehen. »Was für ein Rennen!«, fügte er hinzu.
    Dieses Kind war ich. Und es war das erste
Mal, dass ich die Prinzessin Elisabeth zu Gesicht bekam: Wild vor
Verlangen rieb sie sich wie eine Katze am Mann einer anderen Frau. Doch
Tom Seymour sollte ich nur dieses eine Mal sehen. Innerhalb eines
Jahres war er auf dem Schafott unter Anklage des Hochverrats gestorben,
und Elisabeth hatte dreimal geleugnet, dass zwischen ihnen mehr
bestanden hatte als die allergewöhnlichste Bekanntschaft.

Winter
1552/1553
    I ch erkenne es
wieder!«, sagte ich
aufgeregt zu meinem Vater an der Reling der Themse-Barke, die
flussaufwärts kreuzte. »Vater! Ich erkenne es! Diese Gärten, die bis
zum Fluss gehen, und die großen Häuser … Und ich erinnere mich
an den Tag, als Ihr mich mit Büchern zu diesem Lord, zu diesem
englischen Lord geschickt habt, und ich habe ihn im Schlosspark
gesehen, zusammen mit der Prinzessin!«
    Mein Vater schenkte mir ein Lächeln, obwohl sein Gesicht nach
der langen Reise von Müdigkeit gezeichnet war. »Du erinnerst dich,
Kind?«, fragte er leise. »Das war ein glücklicher Sommer. Sie hat
gesagt …« Er brach ab. Nie erwähnten wir den Namen meiner
Mutter, nicht einmal, wenn wir allein waren. Am Anfang war es eine
Vorsichtsmaßnahme gewesen, um uns vor jenen zu schützen, die sie
ermordet hatten und auch uns verfolgen würden. Nun aber schützten wir
uns sowohl vor unserem eigenen Kummer als auch vor der
Inquisition – doch unser Kummer war ein hartnäckiger Verfolger.
    »Werden wir hier wohnen?«, fragte ich hoffnungsvoll und
betrachtete die prächtigen Paläste und ebenmäßigen Rasenflächen am
Flussufer. Nach Jahren des Umherreisens sehnte ich mich nach einem Heim.
    »Nicht gar so prächtig«, entgegnete mein Vater sanft. »Wir
müssen klein anfangen, Hannah, wir eröffnen ein kleines Geschäft. Wir
müssen uns ein neues Leben aufbauen. Und wenn wir es geschafft haben,
kannst du die Knabenhosen ablegen und dich wieder als Mädchen kleiden
und den jungen Daniel Carpenter heiraten.«
    »Und ist unsere Flucht jetzt zu Ende?«, fragte ich leise.
    Mein Vater zögerte mit der Antwort. Wir waren nun schon so
lange auf der Flucht vor der Inquisition, dass es fast unmöglich schien
zu hoffen, wir hätten nun einen sicheren Hafen erreicht. Unsere Flucht
begann in der Nacht, als meine Mutter vom Kirchengericht schuldig
befunden wurde, Jüdin zu sein – vielmehr eine ›Marranin‹, eine
falsche Christin. Zu dem Zeitpunkt, als sie der weltlichen
Gerichtsbarkeit ausgeliefert wurde, um bei lebendigem Leibe am Pfahl
verbrannt zu werden, waren wir bereits weit fort. Wir ließen sie im
Stich wie Judas Iskariot, verzweifelt bemüht, unser eigenes Leben zu
retten, auch wenn mein Vater mir später immer wieder mit Tränen in den
Augen versicherte, dass wir sie niemals hätten retten können. Wenn wir
in Aragón geblieben wären, hätten sie uns ebenfalls verhaftet. So aber
waren er und ich davongekommen. Wenn ich dann schwor, dass ich lieber
hätte sterben wollen, statt meine Mutter zu entbehren, pflegte er sehr
langsam und traurig zu entgegnen, ich würde noch lernen, dass das Leben
das kostbarste Gut sei. Eines Tages würde ich verstehen, dass sie mit
Freuden ihr Leben gegeben hätte, um das meine zu retten.
    Zuerst ging es über die Grenze nach Portugal,
herausgeschmuggelt von Banditen, die meinem Vater jedes Geldstück
abknöpften und ihm nur deshalb seine Bücher und Manuskripte ließen,
weil sie damit nichts anzufangen wussten. Dann
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