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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer
Autoren: Wolf Serno
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er gleich nach seiner Ankunft erworben hatte.
    Meckel wunderte sich. Der Mann war wohlsituiert, doch sein schwarzer Mantel hatte schon bessere Tage gesehen. Dasselbe galt für die Samtkappe auf dem Kopf, die Hosen, die Schuhe und das spitzenbesetzte Leinenhemd. Es mochte hier sein wie bei manchem Gelehrten, dem seine Forschungen wichtiger waren als sein Äußeres. Meckel sah noch näher hin. Der Mann war bartlos, mit schmalem Gesicht und ernsten Augen über einer kräftigen Nase, Ein paar Fältchen um die Augenwinkel verrieten, dass er auch zu lachen verstand. Sein Alter mochte vierzig Jahre betragen, vielleicht ein wenig mehr. Irgendetwas in diesem Gesicht war ungewöhnlich. Meckel schlug einen weiteren Wirbel, dann wusste er es: Der Mann war überhaupt nicht behaart; er hatte weder Bart noch Augenbrauen noch Wimpern. »Ich danke Euch, dass Ihr so schnell gekommen seid«, hob er an, »Euer Name ist …«
    »Lapidius, Herr Richter. Ludolf Lapidius.«
    Meckel zögerte. »Um es freiheraus zu sagen: Ich weiß nicht, wie ich Euch anreden soll. Mir ist zwar bekannt, dass Ihr ein Gelehrter seid, aber ich kenne nicht Euren Titel.«
    Über Lapidius’ Gesicht huschte ein Lächeln. »Nun, Herr Richter, ich bin einfach ein Neugieriger. Jemand, der den Dingen gern auf den Grund geht. Manche würden mich als Alchemisten bezeichnen, ich hingegen sehe mich eher als Universalgelehrten. Doch sei es, wie es sei: Ich habe den akademischen Grad eines Magisters erworben.«
    »Gut, Herr Magister«, nickte Meckel. Das Trommeln seiner Finger erstarb. »Und in Eurer Eigenschaft als Universalgelehrter habt Ihr auch die Medizin studiert, nicht wahr?«
    »Ganz recht.«
    »Schön. Das sicherzustellen lag mir am Herzen. Würdet Ihr Euch nun um diese als Hexe angeklagte junge Frau kümmern?«
    »Gern.« Lapidius war schon zu der Ohnmächtigen hingetreten. Man hatte die Daumenschrauben in der Zwischenzeit gelöst. Er sah die blutenden, zerquetschten Nägel und unterdrückte einen Anfall von Übelkeit. Es war nicht so, dass er kein Blut sehen konnte, im Gegenteil, er hatte in seinem Leben schon manche Verletzung behandelt, darunter sogar weit schlimmere, aber an Wunden, die unter Folterqualen entstanden waren, würde er sich sein Lebtag nicht gewöhnen. Er nahm das Handgelenk und prüfte den Puls. Er war deutlich, aber schwach. Dann zog er der jungen Frau ein Augenlid hoch. Die verdrehte Pupille zeigte, dass sie sich noch in tiefer Bewusstlosigkeit befand. Lapidius nahm den mitgebrachten Tiegel und hielt ihr den Inhalt unter die Nase. Nichts geschah. Lapidius versuchte es erneut, doch die Ohnmacht schien so tief zu sein, dass selbst der scharf-würzige Geruch des Salzes sie nicht zu beenden vermochte. Er blickte sich um. »Ich brauche einen Schemel. Wenn einer der Herren die Freundlichkeit hätte …«
    Während das Gewünschte herbeigeschafft wurde, hatte Lapidius Muße, der Frau ins bleiche Gesicht zu sehen. Überrascht stellte er fest, dass sie von außergewöhnlicher Schönheit war, mit einem vollen, ausdrucksstarken Mund, einer kleinen, geraden Nase, ebenmäßigen Zügen. Dazu kam das lange, zu dicken Zöpfen geflochtene blonde Haar. Keine zwanzig Jahre zählte sie, da war er sicher. Das Einzige, was den Gesamteindruck störte, war hier und da eine schorfige Pustel auf ihrer makellosen Haut.
    Lapidius besann sich wieder auf seine Aufgabe und ordnete an, die Ohnmächtige auf den Rücken zu drehen und ihre Unterschenkel auf die Sitzfläche des Schemels zu heben. Er hoffte, dass dadurch das Blut in ihren Kopf zurückfließen würde.
    Doch auch diese Maßnahme zeitigte keinen Erfolg. Lapidius widerstrebte es, aber er sah keine andere Möglichkeit mehr. Er ließ einen Eimer Wasser kommen und schüttete ihn der Frau ins Gesicht. Das half endlich. Freyja Säckler kam zu sich. Sie prustete, nieste und schüttelte den Kopf. Dann schien der Schmerz wieder über sie herzufallen, denn sie stöhnte auf und vergrub die Hände in den Achseln. Ein grimmiger Gesichtsausdruck trat auf ihre schönen Züge.
    Meckel ergriff das Wort: »Ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet, verehrter Magister«, sagte er. »Darf ich Euch bitten, der weiteren Tortur beizusitzen, nur für den Fall, dass sich ein derartiges Missgeschick wiederholt?«
    Lapidius nickte, obwohl er keinerlei Wert darauf legte, die Peinigung mitzuverfolgen. Er setzte sich auf den Stuhl, der zur Behandlung gedient hatte.
    Meckel befahl dem Folterknecht: »Gunthart, hilf der Angeklagten auf. Gut so. Nun,
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