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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer
Autoren: Wolf Serno
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andauerte, desto mehr wurde sein Verdacht zur schrecklichen Gewissheit.
    »Ich muss Euch allein sprechen, Herr Richter«, sagte er endlich. »Bitte habt die Liebenswürdigkeit und schickt Gunthart und den Herrn Protokollführer hinaus. Ebenso die Herren Schöffen.«
    Meckel schnappte nach Luft. »Das ist … unmöglich.«
    »Glaubt mir, es muss sein. Wäre es nicht so, würde ich Euch nicht bitten.« Lapidius’ Ton ließ keinen Widerspruch zu.
    »Nun denn, in Gottes Namen. Aber nur kurz.« Mit einer herrischen Bewegung winkte Meckel die Anwesenden hinaus. »Erst stört Ihr das Procedere, Magister Lapidius,dann besteht Ihr darauf, dass die Peinliche Befragung unterbrochen wird. Ich hoffe, Ihr habt einen triftigen Grund dafür. Einen sehr triftigen.«
    »Den habe ich.«
    »Und?«
    »Herr Richter, ich muss Euch leider mitteilen, dass die Angeklagte Freyja Säckler von der Gallischen Krankheit befallen ist.«
    Meckel fiel die Kinnlade herab. »Das ist doch … das ist … nein! Sagt, dass das nicht stimmt.«
    »Doch, es ist leider so.«
    Meckel überlegte fieberhaft. »Seid Ihr ganz sicher, dass es nicht nur eine einfache Krätze ist?«
    »Leider ja. Ich kenne mich diesbetreffend aus. Das Krankheitsbild spricht eine eindeutige Sprache.«
    Meckel schwieg erschüttert. Das von Lapidius konstatierte Leiden hatte in den letzten Jahrzehnten überfallartig ganz Europa heimgesucht. Es war, ähnlich wie die Pest, eine Geißel Gottes und hatte viele Namen: Scabies grossa, Mal franzoso, Lues oder auch Pöse Platern, Lustseuche und Geschlechtspest.
    Lapidius fuhr fort: »Ihr wisst, dass die Gallische Krankheit, neuerdings mehr und mehr Syphilis genannt, dem Gesetz nach behandelt werden muss?«
    »Ich weiß, ich weiß.« Meckels Gedanken überschlugen sich. Syphiliskranke verbannte man entweder vor die Stadttore oder steckte sie ins Franzosenhaus, eine Stätte, in der, ähnlich wie in Leprahäusern, die Kranken behandelt wurden – wobei die Therapie sich meistens darin erschöpfte, den Insassen in weitem Abstand einen Essnapf hinzustellen. Eine solche Isolierung der Säckler kam nicht in Frage, schon deshalb nicht, weil es in Kirchrode kein Franzosenhaus gab. Eine Verbannung der Kranken schied ebenso aus, schließlich war sie als Hexe angeklagt.
    Lapidius unterbrach Meckels Überlegungen. »Ich schlage vor, die Kranke nicht weiter zu tortieren«, sagte er.
    »Kommt nicht in Frage!« Meckel wusste zwar nicht, was mit der Kranken geschehen sollte, aber er war ganz sicher,dass die Peinliche Befragung abgeschlossen werden musste. Und zwar mit einem Geständnis.
    »Verzeiht, dass ich Euch widerspreche«, sagte Lapidius und blickte Meckel direkt in die Augen. »Ihr habt vorhin den Hexenhammer erwähnt, jenes Werk, das die Kirche verfassen ließ, um festzuschreiben, wie Hexenprozesse ablaufen müssen. Ich darf Euch mit dem gebotenen Respekt darauf hinweisen, dass Ihr kein Gottesmann seid. Soweit mir bekannt ist, seid Ihr Richter und außerdem Rat der Stadt Kirchrode. Somit seid Ihr, wie alle weltlichen Juristen, der Constitutio Criminalis Carolina verpflichtet, also der Gerichtsordnung, die Kaiser Karl V. anno 1532 erließ.«
    »Es liegt im Ermessen des Richters, welches Werk er zu Rate zieht. Es kann dieses sein oder auch jenes. Häufig sind es sogar beide, was nicht verwundert, denn es gibt in der Rechtsauffassung viele Parallelen«, entgegnete Meckel steif.
    »Da bin ich ganz Eurer Meinung. Nach der Carolina allerdings muss eine Schuld bewiesen sein, bevor gefoltert werden darf. Wurde der blutende Axtstiel dem Gericht zur Ansicht vorgeführt?«
    Der Richter schürzte die Lippen. »Nein, das wurde er nicht. Aber es gibt Zeugenaussagen, nach denen die halbe Stadt von der Säckler verhext wurde. Sie hat Vieh mit Krankheit geschlagen, Missgeburten herbeigezaubert, Kinderfinger zu Salbe eingekocht und mit dem Teufel mehrfach Unzucht getrieben.«
    »Großer Gott!« Lapidius musste an sich halten. Fast hätte er hinzugefügt: »Und das glaubt Ihr?« Stattdessen sagte er: »Wer um alles in der Welt hat diese angeblichen Taten bezeugt?«
    »Es sind die Bergmannsfrau Auguste Koechlin und die Witwe Maria Drusweiler. Unbescholtene Bürgerinnen, denen keiner etwas nachsagen kann.«
    »Sie sind die einzigen Zeuginnen?«
    »Ja, warum fragt Ihr?« Meckel spürte Ärger in sich hochwallen.
    »Nun, wenn die Säckler die halbe Stadt verhext hat, musste es doch viel mehr Zeugen geben.«Dem Richter fiel darauf nichts ein. Er hätte es niemals zugestanden,
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