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Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Titel: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
Autoren: Jules Verne
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aus Mangel an Nahrungsmitteln und infolge der furchtbaren Kälte, die vom October an im Eismeere zu herrschen pflegt, elend umkommen müßten? In solcher ungeschützten Lage zu überwintern, wäre nicht möglich gewesen, doch auf welche Weise hätten sie nach dem nordöstlichen Sibirien oder nach Alaska gelangen können?
    Im Norden der Behringstraße, wo sich die oceanische Woge weiter ausbreiten konnte, mußten deren Kraft und Geschwindigkeit freilich abnehmen. Außerdem begann der Barometer auch stark zu fallen. Kam dann das Meer in heftige Eigenbewegung, wenn der Wind sich zum Sturm steigerte, so erschöpfte sich vielleicht die Gewalt der Erscheinung und der »Saint Enoch« gewann wieder seine freie Bewegungsfähigkeit. Immerhin fragte es sich, wie weit er, halb entmastet, den Stürmen zu Anfang des arktischen Winters Widerstand leisten könne und was schließlich aus ihm werden würde. Und welch’ entsetzliche Aussichten für den Kapitän Bourcart und alle Uebrigen, auf ein Fahrzeug beschränkt zu sein, dessen sie nicht mehr Herr waren und das sich in dieser weltfernen Einöde zu verlieren drohte.
    An dieser schrecklichen Sachlage konnten nun weder Thatkraft und Ueberlegung, noch Muth und Waghalsigkeit etwas ändern.
     

    Das Eisfeld erstreckte sich über Sehweite hinaus. (S. 208.)
     
    Der Morgen verging. Noch immer wurde der »Saint Enoch«, jetzt mit der Längsseite, dann wieder mit dem Vorder-oder dem Hintertheile voran, wie eine verlassene Seetrift steuerlos hinausgetragen. Noch schlimmer wurde die Lage dadurch, daß der Nebel jeden Ausblick unmöglich machte. Da ein Aufenthalt auf dem Deck gänzlich ausgeschlossen war, konnten Bourcart und seine Officiere den Zustand des Meeres nur durch die kleinen Fenster der Cajüte beobachten. Sie wußten also niemals, ob das Schiff in der Nähe eines Landes, an den Ausläufern des einen oder anderen Ufers der Behringstraße vorüberkam, oder ob sie irgend welcher Insel der arktischen Archipele zutrieben, an der der außergewöhnliche Wogenschwall, doch mit ihm auch der »Saint Enoch« zerschellen sollte.
    Auf jeden Fall konnte das Ende nur ein bald bevorstehender Schiffbruch sein, den voraussichtlich keiner von den Insassen des Schiffes überlebte.
    »Geh’ doch zum Teufel, verwünschter Nebel, pack dich fort!« rief der Lieutenant Allotte.
    Unter dem Einfluß des niedrigen Luftdrucks kam der Nebel am Nachmittage wirklich zum Verschwinden. Die Dunstmassen stiegen empor, und wenn auch die Sonne verhüllt blieb, konnte man doch bis zum Horizont hinaus sehen.
    Nachmittag gegen vier Uhr schien sich die Geschwindigkeit des »Saint Enoch« zu vermindern. Sollte er endlich frei kommen? – Freilich wäre er immer nur ein entmastetes Schiff, doch wenn es dem Kapitän Bourcart gelang, ein Nothsegel zu hissen, konnte er auch hoffen, wieder nach Süden zu gelangen.

    »Alles… sagte Heurtaux, eher alles andere, als am Packeis elend zerschlagen zu werden!«
    Eben wollte der Meister Ollive aus der Cajüte heraustreten, was ihm auch gelang, da der Druck der Luft nicht mehr so stark war. Bourcart, der Kapitän King, der Doctor Filhiol und die beiden Lieutenants folgten ihm nach und begaben sich, Flaschenzüge zum Anhalten ergreifend, nach der Schanzkleidung an Steuerbord.
    Jean-Marie Cabidoulin, der Zimmermann, der Schmied, die Harpuniere und ein Dutzend Matrosen, Engländer und Franzosen durcheinander, kamen aus dem Logis hervor und nahmen auf dem Raume zwischen dem Schmelzofen und dem Bordrand Platz, um sich draußen umzusehen.
    Der »Saint Enoch« wurde jetzt, den Bug nach Nordnordosten gewendet, auf dem Rücken der großen Woge hinausgetragen, deren Höhe ebenso abnahm, wie ihre Geschwindigkeit sich verminderte.
    Nirgends war Land in Sicht.
    Das Seeungeheuer, von dem der »Saint Enoch« seit zwanzig Stunden gepackt sein sollte, ließ – der Böttcher mochte sagen, was er wollte – nicht das mindeste von sich sehen.
    Nun begannen auch alle wieder Hoffnung zu schöpfen und sich bei den ermuthigenden Worten des Kapitäns Bourcart zu beruhigen. Der Meister Ollive konnte sich schon nicht mehr enthalten, Jean-Marie Cabidoulin wegen seines Krokodil-Octopus-Krakokraken aufzuziehen.
    »He… hast Deine Flasche verloren, Alterchen! sagte er, ihm auf die Schultern klopfend.
    – Ich habe sie gewonnen, widersprach der Meister Cabidoulin, doch Du und ich werden nicht dazu kommen, sie zu trinken.
    – Wie?… Du behauptest doch nicht, daß Dein Ungeheuer…
    – Noch immer da ist… ja,
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