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Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin

Titel: Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin
Autoren: Jules Verne
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Aufgebot aller Kräfte bis zur Thür der Cajüte vorarbeitete, rief da hinein:
    »Die Maste brechen herunter!«
    Jetzt konnte sich kein Mensch auf das Deck wagen. Wanten, Pardunen und Stagseile waren bei dem stoßweisen Stampfen und Schlingern zerrissen. Die Bram-und die Oberbramstengen waren gleich mit allen Raaen heruntergestürzt. Einige davon wurden noch von den Flaschenzügen festgehalten und schlugen gegen das Schiff an, daß dessen Wand zertrümmert zu werden drohte. Nichts hatte mehr Stand gehalten, als die Untermaste mit ihren Marsen, woran die zerzausten Segel so heftig anschlugen, daß sie bald in Fetzen davonflatterten. Das in dieser Weise abgetakelte Schiff verlor aber nichts an seiner Schnelligkeit, und die Trümmer folgten ihm bei seiner rasenden Flucht nach dem Norden des Stillen Oceans.
    »Ach, mein armer »Saint Enoch«!« kam es mit einem Seufzer von Bourcart’s Lippen.
    Bisher hatte er noch immer die Hoffnung bewahrt, daß sein Schiff die unterbrochene Fahrt wieder aufnehmen könnte, wenn es nur erst in normale Verhältnisse gekommen wäre. Selbst die Existenz eines Seeungeheuers zugegeben, lag es doch auf der Hand, daß dieses, so mächtig es auch sein mochte, nicht die Kraft hatte, den »Saint Enoch« unter die Wasserfläche zu ziehen, denn sonst würde das bereits geschehen sein. Es mußte also doch schließlich ermüden und würde nicht so weit kommen, sich selbst und das Schiff an der asiatischen oder der amerikanischen Küste zu zerschmettern.
    Ja, Bourcart hatte bis dahin noch gehofft, daß sein Schiff aus dieser unheimlichen Lage unverletzt hervorgehen werde. Doch wozu würde es jetzt noch taugen, wo es keine Obermasten und keine Segel mehr hatte und wo an einen Ersatz dieser schweren Verluste nicht zu denken war?
    Wahrhaftig, das war eine außergewöhnliche Lage, und Jean-Marie Cabidoulin hatte recht gehabt, als er einst sagte:
    »Auf und von dem Meere hat man niemals alles gesehen, da bleibt immer noch etwas zu sehen übrig!«
    Der Kapitän Bourcart und seine Officiere waren jedoch nicht die Leute, sich gleich der Verzweiflung hinzugeben. So lange der Schiffsrumpf unter ihren Füßen noch zusammenhielt, glaubten sie nicht jede Aussicht auf Rettung aufgeben zu sollen. Wenn sie nur etwas gegen die Todesangst ausrichten könnten, die die Mannschaften ergriffen hatte.
    Die Chronometer zeigten jetzt die achte Morgenstunde, es waren also gegen zwölf Stunden verflossen, seit der »Saint Enoch« in Bewegung gekommen war.
    Offenbar mußte die Zugkraft, welcher Art sie auch sein mochte, eine ungeheuere sein, und ebenso ungeheuer war die Schnelligkeit, womit das Schiff dahingerissen wurde. Uebrigens haben mehrere Gelehrte berechnet – was haben solche nicht schon alles berechnet und was werden sie nicht noch alles berechnen! – wie groß die Kraft einer ausgewachsenen Cetacee sei. Ein dreiundzwanzig Meter langer und etwa siebzig Tonnen schwerer Walfisch soll nach ihnen hundertvierzig Dampfpferdekraft, also soviel wie die Kraft von vierhundert lebenden Pferden, d. h. aber noch mehr haben, als heutzutage die vervollkommnetsten Locomotiven entwickeln.
    Vielleicht lassen sich die Schiffe, wie der Doctor Filhiol sagte, dereinst noch von einem Gespann von Walfischen schleppen und die Luftballons von einem solchen von Adlern, Condors oder Geiern ziehen. Legt man aber die genannten Zahlen zu Grunde, so läßt sich leicht abschätzen, wie groß die mechanische Kraft eines Seeungeheuers sein werde, das etwa vier-bis fünfhundert Fuß lang wäre. Als der Doctor Filhiol den Kapitän Bourcart fragte, wie hoch er die Geschwindigkeit des »Saint Enoch«, die sich völlig gleich geblieben zu sein schien, wohl schätze, erwiderte dieser:
    »Sie kann nicht unter vierzig Lieues in der Stunde betragen.
    – Dann hätten wir binnen zwölf Stunden also fast fünfhundert Lieues zurückgelegt?
    – Ja… fast fünfhundert Lieues!«
    Wenn das auch überraschend erscheint, so ist es doch gewiß, daß derartige Geschwindigkeiten und selbst noch größere beobachtet worden sind. Gerade aus dem Stillen Ocean wurde vor einigen Jahren von dem Commandanten einer Flottenstation über folgende Erscheinung berichtet:
    Infolge eines sehr heftigen Erdbebens an der Küste von Peru wälzte sich von da aus eine ungeheuere Meereswoge bis nach der Küste Australiens. Gegen zwei Lieues lang, durchmaß diese Woge den dritten Theil des Erdumfangs mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, der Schätzung nach mit der von hundertachtzig
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