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Die Hexe von Salem

Die Hexe von Salem

Titel: Die Hexe von Salem
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wirkte verwirrt, aber ich glaubte einen schwachen Schimmer von Triumph in ihren Augen zu erkennen. Sie machte einen Schritt in meine Richtung, und ich schwenkte das Gewehr. Priscylla erstarrte.
    »Bleib stehen«, sagte ich ernst.
    Auf ihren Zügen erschien ein Ausdruck grenzenlosen Unglaubens. »Aber Robert«, sagte sie. »Ich dachte, du –«
    »Ich sagte, ich lasse nicht zu, dass dir ein Leid zugefügt wird«, unterbrach ich sie. »Das heißt nicht, dass ich mich umbringen lassen werde.«
    Sie starrte mich an. Ich spürte, wie etwas Unsichtbares, Körperloses nach meinem Geist griff und ihn einzulullen begann. Mühsam schüttelte ich den fremden Einfluss ab.
    »Howard hat Unrecht«, fuhr ich fort. »Ich liebe dich immer noch, und ich weiß, dass es die Priscylla, die ich kennen gelernt habe, noch in dir gibt. Sie existiert, irgendwo in dir.«
    Priscylla schluckte. »Was … was meinst du?«, fragte sie unsicher.
    »Ich werde sie wiederfinden«, fuhr ich fort. »Ich werde die Hexe in dir bekämpfen und die Priscylla befreien. Ich weiß noch nicht wie, aber –«
    »Das ist nicht dein Ernst!«, keuchte sie.
    Diesmal kam mir Howard mit der Antwort zuvor. »Doch«, sagte er. »Es ist sein Ernst. Und meiner auch. Ich habe es dir damals in Salem gesagt, Lyssa, und ich sage es wieder: Du bist nicht wirklich böse. Lass uns dir helfen, den Einfluss Necrons und der anderen Hexer abzustreifen.«
    Salem? dachte ich. Hatte er gesagt Salem?!
    »Ihr … ihr wollt«, stammelte Priscylla, »ihr wollt mir meine Hexenkräfte nehmen?« Sie lachte, aber die Furcht in ihrer Stimme war unüberhörbar.
    Howard nickte. »Es ist die einzige Möglichkeit«, sagte er. »Außer, du ziehst es vor zu sterben.«
    Priscylla blickte ihn eine endlose Sekunde lang schweigend an. In ihrem Gesicht arbeitete es. »Dann sterbe ich lieber«, sagte sie. »Aber wenn ich schon sterbe, dann werde ich euch wenigstens mitnehmen, Howard.« Plötzlich trat ein sonderbarer, lauernder Ausdruck in ihre Augen. »Wie ihr wollt«, sagte sie. »Und du, Robert, wirst jetzt vielleicht endlich begreifen, mit welchen Kräften du dich eingelassen hast. Du hast die Bestie entfesselt – jetzt fühle ihren Zorn!«
    Die letzten vier Worte hatte sie geschrien. Howard stieß einen unterdrückten Fluch aus, trat auf sie zu und schlug ihr den Lauf seiner Flinte gegen den Hals. Bewusstlos sackte sie in seinen Armen zusammen.
    Und dann schien die Welt unterzugehen.
    Das Wasser des Hafenbeckens hob sich in einer brüllenden Explosion aus Schaum und kochenden Spritzern. Ein titanischer Schatten wuchs über uns empor, pflügte mit einer einzigen, gewaltigen Bewegung durch das Wasser und prallte mit einem markerschütternden Schrei gegen die Kaimauer.
    »Zurück!«, brüllte Howard. Rowlfs Gewehr entlud sich mit einem donnernden Knall, aber der Laut ging im Wutgebrüll des Sauriers unter. Der geschuppte Panzerhals zuckte in einer unglaublich schnellen Bewegung herab, die Kiefer öffneten sich, und ein zweiter von Priscyllas Männern stieß einen gellenden Todesschrei aus.
    Wie gelähmt vor Schrecken starrte ich das Ungeheuer an. Vorhin war es furchtbar gewesen – jetzt hatte es sich in einen leibhaftig gewordenen Albtraum verwandelt! Sein linkes Auge war eine einzige, gezackte Wunde, aus der zähflüssiges Blut sickerte, aber der Schmerz schien seine Wut noch anzustacheln. Der riesige Schädel zuckte erneut herab, stieß nach einem dritten Mann und verfehlte ihn um Haaresbreite. Die Kaimauer bebte, als sich die Bestie mit aller Macht dagegen warf.
    Eine gewaltige Hand ergriff mich an der Schulter und zerrte mich zurück. Ich erwachte endlich aus meiner Erstarrung, fuhr herum und rannte los. Vor mir hetzte Rowlf mit weit ausgreifenden Schritten dahin, Priscyllas schlaffen reglosen Körper wie ein Spielzeug über die Schulter geworfen, und hinter und neben mir stolperten die vier Burschen die von Priscyllas Streitmacht übrig geblieben waren. Der Ausdruck auf ihren Zügen war Angst, aber er war mit Verblüffung und Staunen gemischt; ein Ausdruck, als wären sie abrupt aus einem tiefen Schlaf gerissen worden. Priscyllas Einfluss auf ihren Willen musste erloschen sein, als Howard sie niedergeschlagen hatte.
    Im Laufen wandte ich den Kopf und sah zurück. Die Bestie tobte noch immer wie tollwütig an der Kaimauer. Gray und Howard waren zurückgeblieben und feuerten fast ununterbrochen, aber das Geräusch ihrer Gewehrschüsse ging im Gebrüll des Ungeheuers unter. Sein Kopf und der schuppige
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