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Die Hexe von Salem

Die Hexe von Salem

Titel: Die Hexe von Salem
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Hafens sein, der wenigstens jetzt, in der Nacht, vollkommen menschenleer war. Natürlich. Was hatte ich erwartet?
    »Mitkommen«, befahl mein Begleiter. Er war einen guten Kopf größer als ich – was bemerkenswert war, denn ich bin nicht gerade kleinwüchsig –, unglaublich breitschultrig und trug den schwarzen Mantel und Zylinder eines Droschkenkutschers. Aber das war er nicht. Sein Gesicht war das eines jener verkommenen Subjekte, die man in einer Gegend wie dieser anzutreffen erwartet, und seine Augen waren so matt und glanzlos wie die der drei Burschen, die uns überfallen hatten.
    »Wohin?«, fragte ich.
    Er deutete wortlos auf einen niedrigen, halb verfallenen Lagerschuppen zu unserer Rechten. Ich warf einen letzten Blick in die Runde, ehe ich mich zögernd in Bewegung setzte. Wir waren allein, der nächste lebende Mensch schien eine Million Meilen entfernt. Obwohl ich mit aller Macht dagegen ankämpfte, wurde das Gefühl der Furcht in mir stärker, mit jedem Atemzug.
    Unsere Schritte erzeugten unheimliche, klappernde Echos auf dem Kopfsteinpflaster, als wir uns dem Gebäude näherten. Die Tür stand halb offen, und als wir näher herankamen, sah ich flackernden rötlichen Lichtschein ins Freie dringen. Ein Geruch wie nach brennendem Holz und Weihrauch stieg mir in die Nase.
    Ich zögerte instinktiv, die Ruine zu betreten, aber mein Begleiter gab mir ohne viel Federlesens einen derben Stoß in den Rücken und knurrte irgend etwas, das ich nicht verstand. Gehorsam stolperte ich weiter.
    Der Schuppen war leer. Durch die zahllosen Löcher und Ritzen des Daches fiel bleiches Mondlicht ins Innere; rechts und links des Einganges brannten zwei flackernde Kohlefeuer in niedrigen Eisenbecken, und genau in der Mitte des riesigen, leergeräumten Raumes war ein schwarzer Block aus Basalt oder anderem Stein aufgestellt worden. Das Ganze erinnerte mich auf bedrückende Weise an die Bilder einer barbarischen Opferzeremonie, die ich einmal in einem Buch gesehen hatte.
    Aber dies hier war keine Zeichnung, sondern bittere Realität. Und ich hatte das ungute Gefühl zu wissen, wer auf diesem Stein geopfert werden sollte.
    »Tritt näher, Robert«, sagte eine Stimme. Zögernd drehte ich mich herum.
    Zu meiner Linken zeichneten sich die schattenhaften Gestalten eines halben Dutzends Menschen ab. Vier von ihnen kannte ich – es waren die drei Messerstecher und die Hexe. Die beiden anderen waren mir unbekannt. In meinem Mund machte sich ein bitterer Geschmack breit. Ich musste all meine Kraft zusammennehmen, um ihnen entgegenzutreten.
    »Also?«, sagte ich, nicht halb so selbstbewusst, wie ich es gerne gewollt hätte. »Ich bin gekommen, wie du es verlangt hast. Wo ist Priscylla?«
    Die Hexe trat einen Schritt vor und musterte mich von Kopf bis Fuß. Eine seltsame Mischung aus Verachtung und Triumph spiegelte sich in ihrem Blick.
    »Robert Craven«, sagte sie. Ihre Stimme bebte vor verhaltener Erregung. »Roderick Andaras Sohn. Der Letzte aus dem Geschlecht der alten Magier.« Ihr Blick flammte. »Der Fluch erfüllt sich«, sagte sie. »Endlich. Nach so langer Zeit wird der Fluch der Hexen von Salem wahr.«
    »Wo ist Priscylla?«, fragte ich noch einmal, ihre Worte bewusst ignorierend. »Es war abgemacht, dass du sie freilässt, wenn ich mich ausliefere.«
    Sie lächelte, aber auf eine Art, die mir einen eisigen Schauder über den Rücken jagte. »Abgemacht«, wiederholte sie. »Sicher, es war abgemacht. Aber ich fürchte, ich kann die Abmachung nicht halten.«
    Eine Welle heißen Zorns stieg in mir hoch. Mit einem wütenden Schrei trat ich auf sie zu und hob die Arme.
    Zwei unglaublich kräftige Hände legten sich von hinten um meine Oberarme und pressten sie gegen meinen Körper. Mit einem harten Ruck wurde ich zurückgerissen. Eine Hand klatschte in mein Gesicht und trieb mir einen Schmerzensschrei über die Lippen, eine zweite Hand fuhr unter meinen Mantel, entriss mir den Stockdegen und schleuderte ihn davon. Dann traf mich ein Stoß, der mich vorwärtstaumeln und auf die Knie fallen ließ.
    Ich dachte nicht mehr. Irgend etwas schien in mir zu zerbrechen, ich fühlte einen Hass, wie ich nie zuvor in meinem Leben etwas gespürt hatte, ein Gefühl von einer Intensität, das ich noch vor wenigen Augenblicken nicht einmal für möglich gehalten hätte. Mit einer Bewegung, die selbst für meinen Bewacher zu schnell kam, war ich wieder auf den Füßen, wirbelte herum und schlug mit aller Macht zu.
    Meine Faust traf den Riesen
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