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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Liebe zu dir umfassend ist? Was muß ich tun, dich zu überzeugen, daß du allein es bist, du, wie du leibst und lebst, die ein Teil meines Herzens geworden ist?« Er legte die Betrachtungen des Römischen Kaisers beiseite, kam zu mir und legte seine Arme um mich.
    »Was du tun mußt?« entgegnete ich. »Es gäbe da eine wunderbare Sache –«
    »Gute Nacht, Monsieur, Madame«, sagte Sylvie. Sie schloß die Türe, und Florent blies die Kerze aus.

    Als am nächsten Morgen in der ganzen Stadt die Sonntagsglocken läuteten, stand Florent auf und kleidete sich an. Wir schrieben den 12. März 1679.
    »Florent«, rief ich träge aus dem Bette, »du gehst zur Messe? Ich dachte, zweimal im Jahr würde dir genügen.«
    »Nicht zur Messe. Besorgungen machen«, erwiderte er. »Ich habe einiges in meinem Quartier zu erledigen und ein paar Aufträge für meinen Diener.« Irgendwie glaubte ich ihm nicht. Doch war es nicht meine Gewohnheit, ihn über seine merkwürdigen Geschäfte auszufragen. Zuweilen verbrannte er Briefe, die er erhielt. Und er hatte ein eigenartiges Messingrad mit zwei Reihen beweglicher Buchstaben, das er manchmal auf sein Pult stellte, wenn er schrieb. Je weniger ich weiß, dachte ich, desto weniger kann ich weitersagen.
    Als er aber zur Treppe ging, hörte ich, wie Sylvie ihm mit einer eigentümlichen, tiefen Stimme zurief: »Bleibe, Sterblicher. Astaroth hat Pläne mit dir.«
    »O verflixt«, hörte ich ihn antworten. »Nur ein Momentchen, du lästiger alter Teufel. Ich bin in Eile.«
    »Du wirst noch mehr in Eile sein, hat Astaroth dich erst beraten –« Ich war verärgert. Florent mochte ja getrost ohne Frühstück davoneilen, aber ich wollte meines, und Astaroth war womöglich zu hochnäsig, um es heraufzubringen.
    Es zeigte sich, daß genau dies der Fall war. Ich rief Gilles und ging im Morgenrock hinunter, um nachzusehen, was sich im Küchenschrank befand. Keine Butter. Brot von gestern. Ein halber Käse, der schon schimmelte. Eine getrocknete Wurst. Ein Gefäß mit Marmelade mit einem verdächtigen Schaum obendrauf. Ich kratzte den Schaum herunter, nahm einen Löffelvoll heraus und schnitt ein Stück Brot ab.
    »Madame, ich mahle den Kaffee.«
    »Und Milch ist nicht da? Nun gut, dann trinke ich ihn auf türkische Art.«
    »Astaroth ist eine arge Plage«, sagte Gilles.
    »Seht am besten auch im Wasserbehälter nach«, ließ sich Mustafa von der Küchenbank vernehmen. »Astaroth schleppt auch kein Wasser.« Ich hob den Deckel des Küchenbehälters und spähte in die grüne Tiefe.
    »Es ist genug da –« Doch während ich sprach, sah ich in dem Wasser verschwommen und dunkel ein Bild emporsteigen.
    »Madame, ich habe die Kelle –«
    »Pst, Gilles, sieh nur ihr Gesicht. Sie hat eine Vision«, flüsterte Mustafa.
    Eine schwarze Kutsche stand vor dem offenen Portal einer Kirche. Notre-Dame de Bonne Nouvelle. Eine Frau wurde mit Gewalt in die Kutsche gedrängt, während ein halbes Dutzend Musketiere die Menschenmenge fernhielt. Als der Mann sie hineinstieß und sich ihr gegenübersetzte, sah ich ihre Gesichter. Desgrez. Und La Voisin.
    »Es ist heute«, flüsterte ich. »Ich muß sie warnen. Sie darf nicht zur Messe gehen. Sie warten vor der Kirche auf sie.« Jeder Gedanke an Frühstück war vergessen. »Bringt die Kutsche. Sylvie! Ich muß mich ankleiden!«
    »Madame, Monsieur d'Urbec hat die Kutsche genommen.«
    »Dann ruft mir, was immer ihr rufen könnt. Oh, es ist Sonntag! Es ist hoffnungslos. Findet mir irgendjemand, tut etwas! Ich muß vor der Spätmesse nach Notre-Dame de Bonne Nouvelle!« Gilles verschwand aus der Küche.
    »Astaroth schnürt keine Frauen«, ertönte die unverschämte Stimme aus dem Nebenzimmer.
    »Die Pest soll dich holen, Sylvie, und Astaroth dazu!« rief ich und eilte die Treppe hinauf. Ich fuhr in mein Hemd und zog ein loses indigoblaues Wollkleid über, das ich nur im Hause trug. Dann steckte ich mein Haar notdürftig auf und verbarg es unter einer weißen Linnenhaube. Ich nahm meinen breitkrempigen Hut und den Umhang und eilte zur Haustüre, wo Gilles neben einer wartenden portechaise stand.
    »Ich habe ihnen gesagt, daß es eine heilige Pflicht ist, eine arme gebrechliche Frau zur Messe zu bringen«, erklärte er.
    »Notre-Dame de Bonne Nouvelle«, wies ich die Träger an. »Wenn ihr mich vor der Spätmesse hinbringt, verdopple ich eure Gebühr.«
    Aber wir erreichten die Rue de Bonne Nouvelle just, als die Glocken läuteten. Während ich die Männer bezahlte und ihnen
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