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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris
Autoren: Judith Merkle-Riley
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machen wir eine Lesung. Es geht um Leben und Tod.« Der türkische Kaffee war stark und süß, besser als Medizin. Ich hielt das Täßchen zwischen den Händen und wärmte sie, während ich den schweren Duft einatmete.
    »Ah, wunderbar. Ihr seht schon viel wacher aus. Wir haben das Wasser auf dem Arbeitstisch neben dem Schmelzofen bereitgestellt.« Ich sah hinüber. Die Wasservase schimmerte in dem verblassenden Licht, das durchs Fenster fiel. Ein Mädchen kehrte den Fußboden; in einer Kiste hinter dem Ofen säugte eine Katze ihre Jungen. La Dodée und ein anderes Mädchen gossen mein letztes Labsal durch einen Trichter in Flaschen und versiegelten die Korken. Sie waren fast fertig.
    »Oh, seht nur, Eure Harpyie löst sich auf – das müssen die Motten sein«, bemerkte ich.
    »Heutzutage löst sich mehr auf als nur die Harpyie. Wer kann, verschwindet im Versteck. Wir können uns nicht verstecken – wir verdienen hier unseren Unterhalt. Aber noch kann alles gut werden. Madame hat einen großen coup geplant, der uns alle retten wird. Wir müssen wissen, wie es ausgeht, damit wir unsere Pläne fassen können.«
    »Die Bittschrift?«
    »Ja«, flüsterte La Trianon. »Nicht einmal La Dodée weiß davon. Nächste Woche will sie sie in St. Germain überreichen. Sie wurde letztes Mal von der Menge um den König abgedrängt und brachte die Bittschrift wieder mit zurück. Doch nächstes Mal wird es gelingen. Und nun – nun ist es für uns lebenswichtig, daß sie Erfolg hat.«
    »Aber wie kann Gift von einem Stück Papier in die Augen des Lesers gelangen?«
    »Nicht in die Augen, in die Tasche. Die Bittschrift ist mit einem feinen Pulver überzogen. Der König pflegt Bittschriften ungelesen in die Tasche zu stecken, wo er sein Schnupftuch verwahrt. Wenn er tot ist, werden die Verhöre beendet sein, bevor wir alle mit hineingezogen werden.«
    »Und wenn es mißlingt?«
    »Dann werden wir alle sterben – Ihr, ich, Madame de Montespan, die Mancinis und alle übrigen.«
    »Nun gut, ich werde lesen.« Ich zog einen Schemel an den Arbeitstisch. La Trianon scheuchte die Mädchen fort und beschied sogar La Dodée unwirsch: »Später, später. Die kleine Marquise darf nicht gestört werden. Die Lesung muß makellos sein.«
    Das Wasser schien sich zu verdunkeln, als nähme es die draußen hereinbrechende Dämmerung in sich auf. Dann sah ich in der Mitte einen rotgelben Schimmer, zuerst klein, dann größer, bis er die Vase ausfüllte.
    »Was seht Ihr?«
    »Ein Feuer – wartet, ich sehe noch etwas –« Über den Flammen die Spitze eines Scheiterhaufens. Inmitten der Flammen eine lebendige Gestalt, sitzend, in Ketten. Ein verzerrtes Gesicht, das lautlos im Herzen des Feuers schrie.
    »Da sitzt jemand – er wurde gefoltert – die Beine sind gebrochen – es ist – wartet, ich kann es nicht erkennen –« Ich sah nahe hin, so nahe, daß mein Atem das Wasser kräuselte. Das Bild wackelte und schwankte. Ich fuhr zurück. Es war eindeutig.
    »Es ist Madame, die bei lebendigem Leibe verbrannt wird.«
    »Seid Ihr sicher?«
    »Ganz sicher. Ihre Haare sind verkohlt. Ihr Gesicht ist schwarz, aber ich würde es überall erkennen. Die Gehilfen des Scharfrichters ziehen den Leichnam mit Haken auseinander – aber – ich glaube, sie ist nicht tot – die Gliedmaßen bewegen sich –« Eine entsetzliche Schwäche befiel mich. Die Zimmerdecke mit der Harpyie begann über mir zu kreisen. Ich schwankte.
    »Kommt rasch! Rasch!« La Trianon stützte mich, die anderen kamen herbei und halfen mir in den Lehnstuhl. »Es ist das Schlimmste, das Allerschlimmste. Marie, laufe an die Ecke und hole eine portechaise. Ich muß noch heute abend zu Madame. Ich muß es ihr ausreden. Sie darf nächste Woche nicht nach St. Germain –« Ein Mädchen hatte La Trianon schon ihren breiten schwarzen Filzhut und ihren dunklen Umhang gebracht, aber als ein anderes zur Türe ging, hielt ich es zurück.
    »Meine Kutsche wartet draußen. Wir gehen zusammen zu Madame. Wenn jemand sie zurückhalten kann, dann bin ich es. Schickt nur jemanden zu mir nach Hause, um auszurichten, daß ich später komme. Sie erwarten mich.« La Trianon rümpfte die Nase. »Ihr meint, der Mann, mit dem Ihr schlaft, wartet dort. Laßt ihn warten – das tut den Mannsbildern gut.«
    »Ihm nicht – er wird sich auf die Suche nach mir machen, und er ist so gerissen, daß er am Ende Eure Pläne aufdeckt.«
    »Nicht nur ein Mann, sondern auch noch ein schlauer – Ihr habt Euch auf Ungemach
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