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Die Herzogin der Bloomsbury Street

Die Herzogin der Bloomsbury Street

Titel: Die Herzogin der Bloomsbury Street
Autoren: Helene Hanff
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Straße, eine Art offener Platz, auf dem die Gemüsewagen parkten und lauter Gemüseabfälle herumlagen. Ich überquerte die Straße und bog um die Ecke, und da war sie – eine kleine Kirche in einem grünen Kirchhof mit einem Garten dahinter.
    Die Kirche war leer. Wofür ich dankbar war. Ich bin emotional, und wenn man emotional ist, weiß man nicht, was einen plötzlich zu Tränen rührt. Ich dachte, Ellens Asche könnte diese Wirkung auf mich haben.
    Auf einem Tisch lag ein Stapel fotokopierter Blätter, und ein Schild forderte Besucher auf, sich zu setzen und ein Blatt zu lesen, damit man »eine Vorstellung davon bekommt, wo man ist«. Die Kirche wurde 1630 von Inigo Jones erbaut. William S. Gilbert wurde hier getauft, Wycherley ist hier begraben, Davy Garrick ist hierher zum Gottesdienst gegangen – und Professor Enry Iggins erblickte hier zum ersten Mal Eliza Doolittle, als sie unter dem Kirchenvordach im Regen ihre Blumen verkaufte.
    Ich ging an der rechten Wand entlang und las die Plaketten, die an tote Schauspieler und Komponisten erinnern. Fast am Ende der Mauer, beim Altar, in einer Nische hinter einem Eisengitter, stand eine auf Hochglanz polierte silberne Urne mit Ellen Terrys Asche. Zu meiner Überraschung musste ich beim Anblick der Urne lächeln, es war ein heller, freundlicher Anblick.
    Ich durchquerte das Kirchenschiff und ging an der linken Wand entlang und las die Plaketten bis hin zum Portal. Unmittelbar beim Portal, als ich gerade hinausgehen wollte, stieß ich auf eine der neueren Plaketten:
    Vivien Leigh, gest. 1967
    und war plötzlich zu Tränen gerührt.

Sonntag, 18 . Juli
    Habe Modell gesessen.
    Ena holte mich mit einem klappernden Lieferwagen ab, fuhr mit mir zum Russell Square und parkte am Eingang. Der Lieferwagen hat Schiebetüren, die ich natürlich nach außen aufzumachen versuchte, wobei beinahe sowohl die Tür als auch mein Arm zu Bruch gegangen wären. Ena krümmte sich vor Lachen und sagte: »Genau wie Leo!« Anscheinend kommt er mit diesen mechanischen Dingen auch nicht zurecht.
    Ich stieg aus und sie gleich hinter mir, winzig wie sie ist, und schleppte eine ein Meter achtzig große Staffelei, einen ein Meter fünfzig großen Kasten mit Farben, eine Palette, ein paar Zeitschriften und ein Radio von der Größe eines tragbaren Fernsehers. Ich durfte nicht helfen: Das Modell darf nichts heben oder tragen.
    Wir stellten Stühle auf – einen Liegestuhl für mich, einen mit gerader Lehne für sie –, und ich war überrascht und erleichtert, zu erfahren, dass man, wenn man Modell sitzt, nicht bewegunslos in der gleichen Haltung verharren muss. Ena sagte, ich könne mich zurücklehnen, aufrecht hinsetzen, strecken und bewegen und rauchen, solange ich nur in ihre Richtung blickte. Dann erklärte sie mir lang und breit, wie man das Radio bediente, und es stellte sich heraus, dass sie Radio und Zeitschriften eigens für mich mitgebracht hatte, damit ich mich nicht langweilte. Das kam mir komisch vor.
    »Auf dem Russell Square wird mir bestimmt nicht langweilig und mit Ihnen auch nicht«, sagte ich. »Können wir uns nicht unterhalten, während Sie arbeiten?«
    »Oh, das wäre wunderbar«, sagte sie. »Normalerweise sprechen meine Modelle nicht mit mir. Sie sitzen da und schweigen, Stunde um Stunde.«
    »Das wird Ihnen mit mir nicht passieren«, sagte ich.
    Mein Freund, der die Gebühr für die Stühle kassiert, kam zu uns, stellte sich hinter sie und sah ihr beim Malen zu. Desgleichen zwei englische Damen, ein indischer Student und ein jamaikanischer Herr mittleren Alters mit einem Spazierstock.
    »Wie kommt sie voran?«, fragte ich sie aus reiner Freundlichkeit. Aber die direkte Frage schien sie verlegen zu machen, und sie murmelten »sehr gut« und »sehr schön« und verdrückten sich. Ena dankte mir, sie sagte, Zuschauer machten sie nervös. Von da ab war es also meine Funktion, die Bürgersteig-Inspizienten, wie sie in New York genannt werden, zu verscheuchen. In London vertreibt man sie, wenn man sie anspricht. In New York dagegen erfährt man gleich ihre Lebensgeschichte.
    Es ist faszinierend, eine Porträtmalerin bei der Arbeit zu beobachten. Ena saß auf ihrem Stuhl, ihr rotweiß kariertes Kleid bauschte sich um sie herum, sie war entspannt, erzählte, lachte, stellte Fragen, während sie malte – und die ganze Zeit sprangen ihre Augen unglaublich flink von meinem Gesicht zur Staffelei zu meinem Gesicht, zurück zur Staffelei, wieder zu meinem Gesicht und zur
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