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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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erste Mal am Strand, als sie ihn entdeckte, mit dieser Frau und den drei Kindern. Auf die Frau hat sie nicht groß geachtet, sie hat nur Augen für den jungen Mann gehabt, wie er schwamm, wie er sich bewegte, wie er lesend im Strandkorb saß. Anfangs hat sie ihn wegen seiner dunklen Haut für einen Halbblut-Indianer gehalten. Er ist verheiratet, was erhoffst du dir, hat sie sich gesagt, aber trotzdemweiter gehofft. Einmal ist sie ihm und seiner Familie bis in den Ort gefolgt, sie hat von ihm geträumt, auch von Hans, aber an Hans denkt sie jetzt lieber nicht oder nur in dem ungefähren Sinne, dass sie es sollte.
    Zwei Stunden später, beim Abendessen, trifft sie den Doktor wieder. Er sitzt weit weg, am Ende des Tisches neben Tile, die vor Stolz fast platzt, denn ohne Tile wäre er nicht gekommen. Seit zwei Tagen heißt es bei jeder Gelegenheit, der Doktor, der Doktor, er ist ein Schriftsteller, am Freitag werdet ihr ihn kennenlernen, und nun ist es niemand anders als der Mann vom Strand. Tile hat ihn soeben vorgestellt, es folgen die Segenssprüche, der Wein, die Verteilung des Brotes. Der Doktor wirkt, als wäre das meiste völlig neu für ihn, und schaut wieder und wieder zu ihr hin, während des ganzen Essens, mit diesem sehnsuchtsvollen Blick, den sie bereits zu kennen glaubt. Später, bevor er geht, kommt er zu ihr und fragt nach ihrem Namen; den seinen kenne sie ja schon, mit ihrem müsse sie ihm helfen. Er sieht sie mit seinen blauen Augen an, nickt und denkt über den Namen nach, offenbar gefällt er ihm. Sie sagt zu ihm, viel zu schnell: Ich habe Sie gesehen, am Strand, mit Ihrer Frau, obwohl sie doch weiß, dass das nicht seine Frau gewesen sein kann, denn warum wäre ihr sonst so leicht ums Herz, seit er bei ihr in der Küche gestanden hat? Der Doktor lacht und bestätigt, dass es seine Schwester ist. Auch die Kinder sind von seiner Schwester, er hat noch eine zweite, Valli mit ihrem Mann Josef, die ihr vielleicht schon aufgefallen sind. Er fragt, wann er sie wiedersehen darf. Ich würde Sie gerne wiedersehen, sagt er, oder: Ich hoffe, wir sehen uns wieder, und sie sagt sofort Ja, aber gern, denn wiedersehen möchte sie ihn auch. Morgen?, fragt sie, und eigentlich möchte sie rufen, wenn Sie wach sind, wann immer Sie wollen. Er schlägt vor, am Strand, nach dem Frühstück, wenngleich sie ihn lieber fürsich allein in der Küche gehabt hätte. Auch Tile lädt er ein. Sie hat gar nicht gewusst, dass es Tile noch gibt, aber leider, sie ist da, man sieht, wie verliebt sie in den Doktor ist, und dabei ist sie erst siebzehn und hat mit Männern gewiss so gut wie keine Erfahrung.
    Dora hat das Mädchen von Anfang an gemocht, denn es ist ein bisschen wie sie, es muss immer gleich sagen, was ihm durch den Kopf geht. Tile ist nicht unbedingt hübsch, aber man merkt, dass sie voller Leben ist, sie mag ihren Körper, die langen schlanken Beine, richtig wie eine Tänzerin. Dora hat sie schon tanzen sehen, und wie sie weint und dann von einer Sekunde auf die andere lacht, wie das Wetter im April.
    Bis weit nach Mitternacht hat ihr Tile den Besuch des Doktors nachbuchstabiert, was er genau gesagt hat, über das Haus, das Essen, die feierliche Stimmung, dass alle so fröhlich waren. Dora äußert sich nicht dazu, sie hat ihre eigenen Beobachtungen, denen sie nachspürt und sich auf die eine oder andere Weise überlässt, als wären dieser Mann und die wenigen Augenblicke, die sie in seiner Nähe war, etwas, dem man sich überlassen muss. Noch als Tile längst schläft, beginnt sich etwas in ihr auszubreiten, ein Ton oder ein Duft, etwas, das am Anfang beinahe nichts ist und dann fast dröhnend von ihr Besitz ergreift.
    Am nächsten Vormittag am Strand gibt er ihr zur Begrüßung die Hand. Er hat auf sie gewartet und findet, dass sie müde aussieht. Was ist?, scheint er zu sagen. Und weil da Tile ist und seine Nichte Gerti, lächelt sie ihn nur irgendwie an, sagt etwas zum Meer, zum Licht, wie es um sie steht, jetzt, in diesem Licht, obwohl sie nur ein paar Sätze miteinander gesprochen haben, aber mit diesen Sätzen, Blicken muss sie jetzt leben. Ins Wasser willer offenbar nicht; Tile möchte, und so haben sie ein paar Minuten. Drüben, die Schwester hat sie bereits entdeckt, wie konnte sie nur glauben, dass das seine Frau ist.
    Und jetzt reden sie und vergessen, dass sie reden, denn kaum hat einer etwas gesagt, ist es gleich weg, sie sitzen da am Strand wie unter einer Glocke, die jeden Laut sofort verschluckt. Der
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