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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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gespielt. Dem Doktor gefällt ihre Antwort, sie lachen und lernen sich näher kennen. Ja, sie sei aus Berlin, sagt sie, weiß auch, wer der Doktor ist, denn in der Buchhandlung, in der sie arbeitet, hat sie vor Wochen eines seiner Bücher ins Schaufenster gelegt. Mehr scheint sie von sich nicht preisgeben zu wollen, nicht solange Gerti dabeisteht, und so lädt sie der Doktor zu einem Spaziergang auf der Landungsbrücke ein. Sie möchte Tänzerin werden, stellt sich heraus, was auch der Grund für ihren Kummer ist, sie hat Ärger mit ihren Eltern, die es um jeden Preis verhindern wollen. Der Doktor weiß nicht recht, wie er sie trösten soll, der Beruf sei ebenso schön wie anspruchsvoll, aber wenn sie daran glaubt, wird sie eines Tages tanzen. Er meint sie zu sehen, wie sie über die Bühne fliegt, wie sie sich biegt, wie sie mit ihren Armen und Beinen fleht. Sie weiß es, seit sie acht ist, mit ihrem ganzen Körper. Der Doktor sagt lange nichts, während sie ihn erwartungsvoll anblickt, halb Kind, halb Frau.
    Auch am nächsten Tag gehen sie spazieren und am übernächsten. Das Mädchen hat lange über die Worte des Doktors nachgedacht, ist sich aber nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hat. Der Doktor ist im Nachhinein unzufrieden mit seiner Antwort, vielleicht ist es ja falsch, sie in ihrem Traum zu bestärken, vielleicht hat er kein Recht dazu. Er erzählt von seiner Arbeit in der Versicherungsanstalt, wie das so ist, in den Nächten, wenn er schreibt, allerdings schreibt er derzeit nicht. Auch in der Anstalt arbeitet er nicht mehr, er ist seit einem Jahr pensioniert, nur deshalb sitzt er hier, auf der Landungsbrücke mit einer hübschen Berlinerin, die in ein paar Jahren Tänzerinsein wird. Jetzt lächelt sie wieder und lädt den Doktor für morgen zum Essen ein, am Freitagabend gibt es im Ferienheim immer eine kleine Feier, die Betreuer hat sie vorhin gefragt. Er sagt sofort zu, auch weil es der Freitag ist, und so wird er mit seinen vierzig Jahren zum ersten Mal in seinem Leben einen Freitagabend feiern.
    Schon am Nachmittag kann er vom Balkon aus die Vorbereitungen beobachten. Er hat sich auf sein Zimmer zurückgezogen und schreibt Postkarten, über das Meer und die Gespenster, denen er fürs Erste entlaufen zu sein scheint. Er schreibt an Robert und die Bergmanns, zum Teil mit denselben Formulierungen, sehr lange über die Kinder. Von Tile weiß er, dass das Ferienheim Kinderglück heißt, und also schreibt er: Um meine Transportabilität zu prüfen, habe ich mich nach vielen Jahren der Bettlägerigkeit und der Kopfschmerzen zu einer kleinen Reise nach der Ostsee erhoben. Ein Glück hatte ich dabei jedenfalls. 50 Schritte von meinem Balkon ist ein Ferienheim des Jüdischen Volksheims in Berlin. Durch die Bäume kann ich die Kinder spielen sehn. Fröhliche, gesunde, leidenschaftliche Kinder. Ostjuden, durch Westjuden vor der Berliner Gefahr gerettet. Die halben Tage und Nächte ist das Haus, der Wald und der Strand voll Gesang. Wenn ich unter ihnen bin, bin ich nicht glücklich, aber vor der Schwelle des Glücks.
    Es bleibt noch Zeit für einen kleinen Spaziergang, dann macht er sich langsam für den Abend fertig, holt den dunklen Anzug aus dem Schrank, prüft vor dem Spiegel die Krawatte. Er ist neugierig, was ihn da drüben erwartet, auf den genauen Ablauf der Feier, die Lieder, die Gesichter, aber mehr ist da nicht, er erhofft sich nichts für sich.

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2
    D ORA SITZT AM K ÜCHENTISCH und nimmt gerade Fische für das Abendessen aus. Sie hat seit Tagen an ihn gedacht, und plötzlich ist er da, ausgerechnet Tile hat ihn gebracht, und er ist allein, ohne die Frau vom Strand. Er steht in der Tür und betrachtet erst die Fische, dann ihre Hände, mit einem leisen Tadel, wie sie glaubt, aber es ist ohne Zweifel der Mann vom Strand. Sie ist so überrascht, dass sie nicht genau hört, was er sagt, er sagt etwas zu ihren Händen, so zarte Hände, sagt er, und so blutige Arbeit müssen sie verrichten. Dabei sieht er sie voller Neugier an, staunend, dass sie da tut, was sie als Köchin eben tut. Leider bleibt er nicht lang, Tile möchte ihn weiter durchs Haus führen, einen Moment steht er noch am Tisch, dann ist er fort.
    Kurze Zeit ist sie wie betäubt, hört von draußen die Stimmen, Tiles Lachen, sich entfernende Schritte. Sie fragt sich, was nun ist, stellt sich vor, wie er in Tiles Zimmer steht und nicht weiß, dass es auch Doras ist. Ob Tile ihm das sagt? Sie vermutet, eher nicht. Sie denkt an das
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