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Die Herrin von Rosecliffe

Die Herrin von Rosecliffe

Titel: Die Herrin von Rosecliffe
Autoren: Rexanne Becnel
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von ihren Plänen erfüllt vergaß sie oft, höflich zu anderen Menschen zu sein.
    Während der Mann sich wieder am großen Fresko zu schaffen machte, ließ sie ihren Blick zufrieden durch die ganze Kapelle schweifen. Schreiner hatten sechs lange Bänke und einen schweren neuen Altar geschnitzt. Steinmetze hatten ein schönes Geländer angefertigt und ein alter Meister hatte aus einem Marmorblock, den Onkel Jasper in Chester gekauft hatte, das prächtige Weihwasserbecken gemeißelt. Jetzt fehlte nur noch das Kruzifix.
    Isolde tastete in ihrem Ärmel nach der Pergamentrolle mit ihrem Entwurf. Ihre Mutter wünschte sich zu Ehren ihrer walisischen Heimat ein keltisches Kreuz. Vater Clemson wollte hingegen die klassische Form gewahrt wissen: den Sohn Gottes im Todeskampf. Isoldes Vater hatte sich nicht in diese Diskussionen eingemischt und schmunzelnd zu ihr gesagt sie habe sich die Umgestaltung der Kapelle in den Kopf gesetzt und müsse deshalb auch alle Entscheidungen selbstständig treffen.
    Das fiel ihr nicht leicht. Vom Gefühl her pflichtete sie eher ihrer Mutter bei, aber Vater Clemson war ihr Beichtvater, und wenn er glaubte, sie hätte zu wenig Ehrfurcht vor Jesus, würde sie als Buße viele Stunden kniend beten müssen. Deshalb konnte sie nur hoffen, dass ihr Kompromiss beide Parteien befriedigen würde.
    Die Lösung war ihr heute beim Aufwachen eingefallen, im ersten schwachen Morgengrauen, noch bevor die Hähne krähten und die Kühe muhten. Um diese Zeit hatte sie oft die besten Ideen. Ihr schwebte ein keltisches Kreuz vor, höher und breiter als jedes Kreuz, das sie bisher gesehen hatte. In der Mitte würde der Erlöser ins Holz geschnitzt sein, Gottes größtes Geschenk an die Menschheit. Doch an den vier Enden des Kreuzes würden alte keltische Symbole an andere göttliche Geschenke erinnern: über dem Haupt des Gemarterten der Himmel, unter seinen Füßen die Erde, zu seiner Linken das Feuer, zu seiner Rechten das Wasser.
    Sie hatte nur eine flüchtige Skizze entworfen, war aber davon überzeugt, dass sie noch nie einen so genialen künstlerischen Einfall gehabt hatte. Trotzdem war sie nervös, als sie die Kapelle verließ und sich auf die Suche nach ihrer Mutter und Vater Clemson machte. Sollte sie die Zeichnung jedem einzeln oder beiden zusammen vorlegen? Jedenfalls musste sie bald mit ihnen sprechen. Leider würde das Kruzifix bis Sonntag auf gar keinen Fall mehr fertig werden.
    Während sie den großen Innenhof überquerte, kreisten ihre Gedanken um Farben wie Ocker und Olive, um die richtige Mischung für ein leuchtendes Violett. Deshalb bemerkte sie weder die kleinen Menschengruppen, die miteinander tuschelten, noch die beiden fremden Pferde, die vor den Stallungen von zwei jungen Burschen betreut wurden. Erst als sie die Halle betrat und zwei Mädchen - ihre jüngere Schwester Gwen und deren Busenfreundin Lavinia - Arm in Arm und mit geröteten Wangen am Kamin stehen sah, kehrte Isolde in die Realität zurück.
    »Na, euch steht die Aufregung ja deutlich ins Gesicht geschrieben «, kommentierte sie. »Ist irgendwas passiert? Wo ist Mutter? Und Vater?«
    »Im Arbeitszimmer«, antwortete Gwen mit wichtiger Miene. »Sie haben eine Botschaft vom Herzog der Normandie erhalten. Vom Herzog der Normandie!«, wiederholte sie dramatisch. »Glaubst du, dass er uns hier in Rosecliffe besuchen will?«
    »0 nein, das geht nicht!«, stöhnte Isolde. »Jedenfalls nicht bevor die Kapelle ganz fertig ist.«
    Gwen warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Mit dreizehn spielte sie sich gern als perfektes Burgfräulein auf und hatte wenig Geduld mit der älteren Schwester. »Kalk und Farben sind ihr wichtiger als eine ordentliche Frisur«, erklärte sie Lavinia und schüttelte den Kopf. »Du solltest einmal deine Haare und dein Kleid sehen, Isolde!«
    »Gott sei Dank beschränkt mein geistiger Horizont sich nicht auf Kleider und Frisuren«, erwiderte Isolde ziemlich scharf. »Wir alle hoffen, dass auch du eines Tages irgendwelche anderen Interessen entwickeln wirst. Bis dahin bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als dein kindisches Benehmen zu tolerieren.«
    Hochmütig ließ sie die albernen Mädchen stehen. Wenn der Herzog der Normandie ihren Eltern eine Botschaft gesandt hatte, wollte sie wissen, worum es sich handelte.
    Das. Arbeitszimmer ihres Vaters war ein kleiner Raum, der nur durch einen schweren Vorhang von der Halle abgetrennt wurde. Hier gehörte unbedingt eine richtige Tür mit kleinem Guckfenster, Riegel
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