Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
Vom Netzwerk:
Licht. Bald würde die Sonne aufgehen. Viviane drehte sich um, weil sie über dem Tor die aufgehende Sonne sehen wollte, und blieb wie angewurzelt stehen.
    Der ganze Hügel war so durchsichtig wie Glas geworden, und ein Licht durchflutete ihn, das nicht von der Sonne kam. Es verstärkte sich vor ihren Blicken und stieg höher und höher, bis es vom Gipfel des Tors strahlte. Allmählich wurde der Hügel darunter wieder undurchsichtig, und als sich der Morgenhimmel aufhellte, veränderte sich das Licht auf dem Tor. Zuerst sah sie nur eine Gestalt, aber dann wußte sie, daß es Taliesin war.
    Taliesin leuchtete ...
    Rufend rannte sie auf den Tor zu. Es blieb keine Zeit für die würdevollen Spiralen des Prozessionswegs. Viviane kletterte auf dem kürzesten Weg nach oben. Sie hielt sich am Gras fest, wenn ihre nackten Füße auf dem taufeuchten Boden rutschten. Als sie den Gipfel erreichte, klopfte ihr Herz wie rasend, und sie rang nach Luft. Sie blieb stehen und hielt sich an einem der Ringsteine fest.
    Der Mann, den sie gesehen hatte, stand in der Mitte des Kreises und hob feierlich die Arme, um die aufgehende Sonne zu begrüßen.
    Sie sah ihn nur von hinten und unterdrückte einen Ausruf der Verwirrung. Das war nicht der Mann, den sie Vater genannt hatte. In Größe und Kleidung glich er zwar Taliesin, doch die Haltung und noch deutlicher seine Aura verrieten, daß es ein anderer war.
    Die Sonnenglut im Osten wurde intensiver und entfaltete Banner von Rosa und Gold. Die neugeborene Sonne ging über dem Rand der Welt auf, und sie ließ geblendet den Kopf sinken.
    Als Viviane wieder sehen konnte, hatte sich der Mann nach ihr umgedreht. Sie nahm ihn zuerst als Silhouette umgeben von Flammen wahr. Dann gewöhnten sich ihre Augen an das Tageslicht, und sie sah zum ersten Mal in aller Deutlichkeit, was aus Taliesin geworden war.
    »Wo ist er?«
    »Hier ... « Auch die Stimme war tiefer. »Wenn er sich meinem Wesen anpaßt und ich mich daran gewöhne, wieder einen Körper zu haben, wird er häufiger durchscheinen. Aber in dieser ersten Stunde der neuen Zeit muß ich der Beherrschende sein.«
    »Wofür ist diese Stunde günstig?« fragte sie stockend.
    »Für die Weihe der Herrin von Avalon ... «
    »Nein!« Viviane schüttelte den Kopf und ließ den Stein los. »Ich habe bereits abgelehnt.«
    »Ich verlange es im Namen der Götter!«
    »Wenn die Götter so mächtig sind, warum ist meine Mutter dann gestorben? Warum ist sie tot wie der Mann, den ich liebte und mein Kind?«
    »Tot?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Sie haben nicht länger einen Körper, aber du mußt wissen, daß du sie wiedersehen wirst. Du wirst sie so finden, wie du sie gekannt hast. Erinnerst du dich nicht?«
    Isarma höre auf mich!
    Ein Schauer schüttelte ihren gepeinigten Körper, als sie den Namen hörte, an den Ana sie bei Igraines Geburt erinnert hatte.
    Beim Klang der vertrauten Silben stiegen flüchtig und klar wie Fragmente eines Traums alle die Leben in ihr auf, in denen sie miteinander verbunden gewesen waren und sich bemüht hatten, das Licht etwas weiter zu tragen.
    »In diesem Leben war Taliesin dir ein Vater, aber so war es nicht immer, Viviane. Doch das ist nicht wichtig. Wichtig ist jetzt nicht die Vereinigung der Körper, sondern die der Seelen.«
    Er richtete seinen strahlenden Blick freundlich, aber mit der ganzen Würde seiner Macht auf sie. »Deshalb frage ich dich noch einmal, Tochter von Avalon, willst du all dem Leid, das du gesehen hast, einen Sinn geben und deine Bestimmung heute und hier annehmen?«
    Viviane sah ihn zweifelnd an. Ihre Gedanken überschlugen sich. Er bot ihre eine Macht an, die größer war als die der Kaiser und Könige. Ihre Mutter hatte das ganze Leben auf dieser der Welt entrückten Insel gelebt und diese Macht nie wirklich benutzt.
    Viviane hatte den Feind in seiner ganzen Grausamkeit und Brutalität kennengelernt.
    In der Welt, in der Rom geherrscht hatte, konnte Avalon nicht mehr sein als eine Legende. Druiden und Priesterinnen hüteten das alte Wissen, griffen aber selten ein, um die Angelegenheiten der Menschen zu lenken.
    Jetzt änderte sich alles. Die Legionen waren abgezogen, und die Sachsen hatten die alte Ordnung zunichte gemacht. Aus diesem Chaos würde eine neue Nation entstehen. Warum sollte das neue Britannien nicht von Avalon gelenkt werden?
    »Wenn ich zustimme«, sagte sie langsam, »dann mußt du versprechen, daß wir zusammen dem den Weg bereiten werden, der das Land gegen alle Feinde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher