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Die Herrin der Kelten

Die Herrin der Kelten

Titel: Die Herrin der Kelten
Autoren: Manda Scott
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den schiefen Dachbalken über seinem Bett eingeritzt, um ihn vor Unheil zu bewahren. Der Junge hatte viele Sommerabende damit verbracht, die Symbole in Gedanken nachzuzeichnen und ihre schützende Wirkung wie einen unüberwindlichen Wall um sich herum zu fühlen. Jetzt lag er reglos in der drückenden Stille der Nacht, betete um Licht und sah doch nichts. Falls der Mond schon aufgegangen war, so fielen seine Strahlen zumindest nicht auf diese Seite des Rundhauses. Und falls Sterne am Himmel standen, so durchdrang ihr Licht nicht das strohgedeckte Dach. Im Inneren des Hauses stiegen dünne Rauchkräusel von der abkühlenden Glut des Feuers auf, aber keine Licht spendenden Flammen. Es war die finsterste Nacht, an die er sich jemals erinnern konnte, und er hätte ebenso gut blind sein können. Oder noch immer in seinem Traum gefangen.
    Er wollte nicht träumen. Blinzelnd suchte er daher nach anderen Möglichkeiten, um sich in der Welt der Lebenden zu verankern. Leichter, trockener Rauch kitzelte seine Nase. Jeden Abend errichtete seine Mutter ein Zelt aus Zweigen über den glühenden Kohlen in der Feuerstelle, damit der Rauch des brennenden Geästs ihre Familie sicher durch die Welt jenseits des Schlafs geleiten würde. Mit zunehmendem Alter begann er die Sprache des Rauchs zu verstehen. Er atmete tief ein und ließ die unterschiedlichen Geruchsnuancen in sein Bewusstsein eindringen, um sie im Geist zu filtern und zu sortieren: den bitteren Hauch von sonnenverbranntem Gras, den wärmeren, eher süßlichen Beigeschmack von röstenden Eicheln, den herben Geruch nassen Schiefertons und die stechende, unverwechselbare Geruchsnote von Tannin, wie von einer frisch gebeizten Tierhaut. Es war diese letzte Nuance, die die gewünschte Wirkung hervorrief. Vor seinem geistigen Auge stieg das Bild eines Mädchens auf, das schlafend unter einem Teppich aus weißen Blütenblättern lag, und, später, das Bild eines Baums, übersät mit Beeren von der Farbe getrockneten Blutes, die zu essen man ihn eindringlich gewarnt hatte. Rotdorn . Das war es wohl.
    Er befahl seinem Körper, sich zu entspannen. Er war jetzt ruhiger. Sein Herz schlug weniger schnell. Er schloss die Augen und ließ sich von dem durch die Hütte ziehenden Rauch wieder zum Anfang seines Traums zurücktragen. In der anderen Welt war es jetzt Tag, und er ritt ein fremdes Pferd, nicht eines der Pferde seines Vaters, sondern eine Stute mit einem Fell von der Farbe eines Fuchses im Winter. Sie war groß und sehr gut in Form. Er strich mit einer Hand an ihrem langen, sehnigen Hals entlang, und ihr Fell glänzte und schimmerte wie eine neue Münze unter seinen Fingern, mit nur einem ganz schmalen Streifen unter ihrer wallenden Mähne, der von Schweiß verdunkelt war. Sie galoppierten in rasender Geschwindigkeit dahin. Er war nackt, und die Stute hatte keine Satteldecke. Unter seinen Schenkeln konnte er fühlen, wie sich ihre kräftigen Muskeln bei jedem weit ausgreifenden Schritt zusammenzogen und anspannten. Wenn er sich darauf konzentrierte, die diesseitige Welt loszulassen und ganz tief in seinen Traum hinabzutauchen, konnte er sogar die kleinen Dampfwölkchen aus ihren Nüstern aufsteigen sehen und das Pfeifen ihres Atems über das dumpfe Trommeln von Hufen auf Grasnarbe und schwammigem Moorboden hinweg hören. Nach einer Weile verließ die Stute den sonnenbeschienenen Pfad und galoppierte in eine Nebelwolke hinein, so dicht, dass er kaum noch die Spitzen ihrer Ohren vor sich erkennen konnte. Der Nebel wirbelte in milchigen Schwaden an seinen Augen vorbei und machte ihn blind. Er atmete in tiefen Zügen ein, roch Pferdeschweiß und abgestandenes Wasser und den säuerlich-strengen Minzegeruch von zerdrückter Heidemyrte. Ohne irgendeinen Grund hob er plötzlich eine Hand, legte sie trichterförmig um den Mund und schrie ein einziges Wort in das blendende, Schwindel erregende Weiß um ihn herum - einen Namen. Seine Stimme kam so rau und krächzend wie die eines Raben über seine Lippen, und der Name selbst sagte ihm nicht das Geringste. Er hallte in der Stille wider und wurde zu ihm zurückgeworfen, aber er ergab trotzdem keinen Sinn für ihn. Der Junge ließ es dabei bewenden und beugte sich stattdessen tief über den Hals der fuchsfarbenen Stute, um ihr beschwörende Worte ins Ohr zu flüstern und sie noch schneller anzutreiben. Er versprach ihr Ruhm, ein langes Leben und kräftige Fohlen, wenn sie sie beide sicher aus der Gefahr herausführte. Denn es drohte ganz
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