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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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verstummte dann jedoch, weil sie begriff, was er da von ihr verlangte.
    »Leiste – den – Eid!«, wiederholte er.
    »Den Eid leisten?« Uta wich zurück und presste den schmerzenden Rücken gegen die Wand. Der Eid war für so manchen Vasallen schon das Todesurteil gewesen! Nur wenn es dem Beschuldigten gelang, dessen Wortlaut fehlerfrei, ohne zu zögern oder sich zu verhaspeln, auszusprechen, bewies Gott damit die Unschuld des Angeklagten. Den Text des Eides, der für alle Anklagen identisch war, kannte Uta von den Gerichtstagen, an denen hier im Burgsaal Recht gesprochen worden war.
    Der Vater zog sie an den Armen zu sich. »Sprich den Reinigungseid, oder ich muss dich sofort verstoßen!«
    Uta erstarrte. Verstoßen? Ein Leben ohne die geliebte Mutter und die Geschwister? Sie war doch glücklich hier. Was sollte sie alleine, fern der heimatlichen Burg? Das konnte der Herrgott nicht zulassen. Die Finger des Vaters umfassten ihre zerkratzten Arme und schlossen sich dann wie eiserne Klammern um ihre Handgelenke.
    Uta wollte sich aus dem schmerzenden Griff befreien, doch der Vater zog sie nur noch näher zu sich. »Die Verweigerung des Reinigungseides ist erst recht ein Gottesurteil. In diesem Fall bist du schuldiger, als es ein gewöhnlicher Sterblicher überhaupt sein kann.«
    Uta nickte erschrocken. Satzfetzen wie Gottes Gebote, Unschuld des Erdlings und irdischer Vertreter schossen ihr durch den Kopf. Die übrige Erinnerung an den Wortlaut des Eids war lediglich ein Brei aus Buchstaben.
    »Und?« Mit diesem Wort ließ der Graf die Handgelenke seiner Tochter los und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Uta drückte die Faust mit der grünen Spange zusammen und schloss die Augen. Sie sah die Mutter und die Geschwister vor sich, die ihr ermutigend zulächelten.
    »Ich, Uta von Ballenstedt«, begann sie den Eid und öffnete die Augen. Der Saal im Hintergrund verschwamm; lediglich die Silhouette des Vaters zeichnete sich gestochen scharf davor ab. »Ich schwöre vor Gott und allen Heiligen, dass ich frei von Schuld bin.«
    Damit war der erste der drei Eidsätze heraus. Begleitet von einem heftigen Pochen in ihren Schläfen fuhr sie fort. »Ich habe weder gegen die Gebote Gottes noch gegen die Gebote meines diesseitigen Herrn, seines irdischen Vertreters, gehandelt.«
    Nun stand nur noch der letzte der drei Sätze aus. Uta blickte kurz auf die Spange in ihrer Hand. Dann begann sie den Satz, der dem ganzen Alptraum ein Ende bereiten sollte. »Der Allmächtige möge die U… U… U…«, Uta versuchte, das ersehnte Wort mit aller Macht aus sich herauszupressen. »Möge die U… Un…«
    »Ich wusste«, spie Adalbert von Ballenstedt hervor, »dass du das Wort Unschuld niemals herausbringen würdest!«
    Uta schaute fassungslos zu Boden. Der Reinigungseid war ihr misslungen. Kein Haspler, kein Zögern, keine Fehler lauteten die Bedingungen für Gottes Freispruch. Das Gesicht des Vaters verschwand hinter ihrem Tränenschleier.
    »Gott hat Recht gesprochen. Beim nächsten Gerichtstag, zum Fest des heiligen Georg, wirst du verstoßen.« Graf Adalbert löste die verschränkten Arme vor seiner Brust und holte erneut aus. Wieder schleuderte sein Schlag Uta gegen die Wand und ließ sie an ihr hinab zu Boden gleiten. Die grüne Spange kullerte ihr aus der Hand.
    »Mein Ansehen lasse ich mir von dir nicht zerstören! Eher verzichte ich auf eine Tochter als auf meinen guten Ruf!« Schnaubend verließ Adalbert von Ballenstedt den Burgsaal.
    Vergebens suchte sie nach einem Anzeichen von Besserung. Doch die immer noch zugeschwollenen Lider begruben die Hoffnung, in Utas Augen den gewohnten grünen Glanz schnell wieder leuchten zu sehen. Utas alte Amme Gertrud, der das jahrelange Stillen die Brust unter dem grauen Obergewand auf den stattlichen Bauch hinabgedrückt hatte, beugte sich tiefer über die Bettstatt. »Fräulein Uta, könnt Ihr mich hören?« Besorgnis zeichnete sich auf dem Gesicht der Frau ab, die sich dem Wohl der ältesten Grafentochter besonders verschrieben hatte. Nicht nur, dass Gertrud dem Mädchen hin und wieder einen der rotbäckigen Äpfel zusteckte, die sie als Dank für Hilfstätigkeiten in der Backstube erhielt. Ebenso gern mühte sie sich auch, Utas beschmutzte Kleider zu säubern, bevor die Blicke des strengen Grafen diese erspähten. Uta blinzelte.
    »Kind?«, fragte Gertrud voller Hoffnung.
    Utas Antwort erschöpfte sich in einem Stöhnen.
    »Eure Mutter, die Gräfin, wies mich an, sie zu verständigen,
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