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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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und Mörder Peter Hausmeir hatte vor zehn Jahren jeden einzelnen Schlag gespürt, als ihm Kuisl die Knochen brach. Aufs Rad geflochten hatte er so lange geschrien, bis ihm der Henker schließlich mit einem letzten Hieb den Halswirbel zertrümmerte.
    Normalerweise mussten die zum Tode Verurteilten selbst zur Hinrichtungsstätte gehen oder sie wurden, gewickelt in eine Tierhaut, von einem Pferd dorthin geschleift. Doch der Scharfrichter wusste aus Erfahrung, dass verurteilte Kindsmörderinnen in der Regel nicht mehr selbst gehen konnten. Um sie ruhigzustellen, erhielten sie am Hinrichtungstag ganze drei Liter Wein, und der Trank tat ein Übriges. Meist waren die Mädchen taumelnde Lämmer, die man zur Schlachtbank fast tragen musste. Johannes Kuisl nahm deshalb immer den Karren. Außerdem hielt der Wagen den einen oder anderen davon ab, der armen Sünderin noch einen Hieb ins Jenseits mitzugeben.
    Der Henker führte jetzt selbst die Zügel, sein Sohn Jakob ging nebenher. Die Menge begaffte und belagerte den Karren, so dass sie nur langsam vorankamen. Inzwischen war auch ein Franziskanerpater zur Verurteilten hinaufgeklettert und betete neben ihr den Rosenkranz. Der Wagen fuhr gemächlich um das Ballenhaus herum und hielt schließlich an der Nordseite des Gebäudes. Jakob erkannte den Schmied aus der Hennengasse, der dort mit der Glutpfanne wartete. Kräftige, schwielige Hände pumpten mit dem Blasebalg Luft in die Kohlen, so dass die Beißzange rot wie frisches Blut leuchtete.
    Wie eine Marionette richteten zwei Büttel Elisabeth auf. Ihre Augen blickten ins Leere. Als der Henker das Mädchen mit der Zange in den rechten Oberarm zwickte, schrie es kurz und hoch auf. Dann schien es wieder in eine andere Welt hinüberzugleiten. Es zischte und rauchte, Jakobstieg der Geruch von verbranntem Fleisch in die Nase. Obwohl ihm sein Vater von der Prozedur erzählt hatte, kämpfte er mit Brechreiz.
    Noch drei Mal, an jeder weiteren Ecke des Ballenhauses, hielt der Karren, und die Prozedur wiederholte sich. Elisabeth wurde noch einmal in den linken Arm, einmal in die linke Brust und einmal in die rechte Brust gezwickt. Doch dank des Trankes hielten sich die Schmerzen in Grenzen.
    Elisabeth begann ein einfaches Kinderlied zu summen und streichelte dabei lächelnd ihren Bauch: »Schlaf, Kindlein, schlaf... «
    Sie verließen Schongau durch das Hoftor und folgten der Altenstadter Straße. Schon von weitem konnten sie den Hinrichtungsplatz sehen. Ein grasiges, mit Erdflecken übersätes Feld, das zwischen den Äckern und dem angrenzenden Wald gelegen war. Ganz Schongau und auch die Einwohner der umliegenden Dörfer hatten sich darauf versammelt, für die Ratsherren waren Bänke und Stühle hierher gebracht worden. Das Volk stand in den hinteren Reihen und vertrieb sich die Zeit mit Tratsch und Naschwerk. In der Mitte erhob sich die Köpfstatt, eine gemauerte, sieben Fuß hohe Plattform, zu der eine Holzstiege hinaufführte.
    Als der Wagen auf den Platz zufuhr, teilte sich die Menge. Neugierig versuchten die Menschen einen Blick auf die am Karrenboden liegende Kindsmörderin zu erhaschen.
    »Sie soll aufstehen. Hoch, hoch mit ihr! Henker, zeig sie uns! «
    Das Volk war sichtlich erbost. Viele warteten hier schon seit den Morgenstunden, und jetzt war von der Verbrecherin nichts zu sehen. Schon begannen die ersten BürgerSteine und faules Obst zu werfen. Der Franziskanerpater duckte sich, um sein braunes Gewand zu schonen, doch einige Äpfel trafen ihn am Rücken. Die Büttel drängten die Menge zurück, die sich wie ein einziges großes Wesen um den Karren zusammenzog, als wollte sie ihn samt Inhalt verschlucken.
    Ruhig steuerte Johannes Kuisl den Wagen bis hin zur Plattform. Dort warteten bereits die Ratsherren und der Pflegsverwalter Michael Hirschmann. Als hiesiger Stellvertreter des Kurfürsten hatte Hirschmann selbst vor zwei Wochen das Urteil verkündet. Jetzt blickte er dem Mädchen noch einmal tief in die Augen. Der alte Mann kannte Elisabeth seit ihrer Kindheit.
    »Mei, Lisl, was hast g’macht? «
    »Nix. Nix hab ich g’macht, Exzellenz.« Elisabeth Clement blickte den Verwalter aus bereits toten Augen an und streichelte weiter ihren Bauch.
    »Das wird allein der Herrgott wissen«, murmelte Hirschmann.
    Der Verwalter nickte, dann führte der Scharfrichter die Kindsmörderin die acht Stufen zur Köpfstatt empor. Jakob folgte ihnen. Zweimal stolperte Elisabeth, dann hatte sie ihren letzten Gang geschafft. Oben warteten bereits
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