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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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ein weiterer Franziskanerpater und der städtische Ausrufer. Jakob blickte nach unten auf die Wiese. Er sah Hunderte von gespannten Gesichtern, die Münder und Augen weit aufgerissen. Die Ratsherren hatten ihre Plätze eingenommen. Von der Stadt her läutete wieder die Glocke. Alles wartete.
    Der Henker drückte Elisabeth Clement sanft nach unten, bis sie kniete. Dann verband er ihr mit einem der mitgebrachten Leinentücher die Augen. Ein leichtes Zittern ging durch ihren Körper, sie murmelte ein Gebet.
    »Ave Maria, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Weibern «
    Der Ausrufer räusperte sich, dann verkündete er noch einmal das Urteil. Jakob hörte die Stimme wie ein fernes Rauschen.
    »... dass du dich nun vom ganzen Herzen zu Gott kehren und so zu einem frommen und glücklichen Tod kommen sollst ... «
    Sein Vater stupste ihn von der Seite an.
    »Du musst sie mir halten«, flüsterte er so leise wie möglich, um die Rede nicht zu stören.
    »Was?«
    »Du musst ihre Schultern und ihren Kopf hochhalten, damit ich gut treffe. Die Lisl kippt uns sonst um. «
    Tatsächlich sank der Oberkörper der Verurteilten langsam nach vorne. Jakob war verwirrt. Bis jetzt war er immer davon ausgegangen, dass er bei der Hinrichtung nur zusehen sollte. Von Mithelfen hatte sein Vater nie gesprochen. Doch fürs Zaudern war es jetzt zu spät. Jakob packte Elisabeth Clement bei den kurzen Haaren und zog ihren Kopf empor. Sie wimmerte. Der Henkerssohn spürte Schweiß an seinen Fingern, er streckte den Arm aus, damit sein Vater mit dem Schwert Platz hatte. Die Kunst war es, mit einem einzigen, mit beiden Händen geführten Hieb genau zwischen zwei Halswirbel hindurch zu schlagen. Ein Augenzwinkern, ein Lufthauch nur, und die Sache war überstanden. Allerdings nur, wenn es richtig gemacht wurde.
    »Gott gnade deiner armen Seel’ ...«
    Der Ausrufer war zum Ende gekommen. Er zog einen dünnen, schwarzen Holzstab hervor, hielt ihn über Elisabeth Clement und zerbrach ihn. Das Knistern des Holzes war über den ganzen Platz zu hören.
    Der Pflegsverwalter nickte Johannes Kuisl zu. Der Henker hob sein Schwert und holte aus.
    In diesem Moment spürte Jakob, wie die Haare des Mädchens seinen schweißnassen Fingern entglitten. Eben noch hatte er Elisabeth Clements Kopf hochgehalten, da fiel sie plötzlich wie ein Sack Getreide nach vorne. Er sah das Schwert seines Vaters heranrauschen, doch statt des Halses traf die Klinge den Kopf in Höhe des Ohrs. Elisabeth Clement wand sich auf dem Boden der Köpfstatt. Sie schrie wie am Spieß, an ihrer Schläfe klaffte eine tiefe Wunde. In einer Lache aus Blut sah Jakob ein halbes Ohr liegen.
    Die Augenbinde war der Verletzten vom Gesicht gerutscht. Mit schreckensweiten Augen blickte sie empor zum Scharfrichter, der mit erhobenem Schwert über ihr stand. Die Menge stöhnte wie aus einer Kehle. Jakob merkte, wie ein Würgen seinen Hals hochkroch.
    Sein Vater schob ihn weg und holte noch einmal aus. Doch Elisabeth Clement rollte sich zur Seite, als sie das Schwert auf sich zukommen sah. Diesmal traf die Klinge ihre Schulter und fuhr ihr tief in die Halsbeuge. Blut schoss aus der Wunde empor und bespritzte Henker, Knecht und den entsetzten Franziskanerpater.
    Auf allen vieren kroch Elisabeth Clement auf den Rand der Köpfstatt zu. Die meisten Schongauer starrten entsetzt auf das Schauspiel, doch auch Johlen war zu hören. Einige warfen Steine auf den Henker. Das Volk hatte es nicht gern, wenn der Mann mit dem Schwert pfuschte.
    Johannes Kuisl wollte ein Ende machen. Er stellte sich neben die stöhnende Frau und holte ein drittes Mal aus. Diesmal traf er sie voll zwischen dem dritten und dem vierten Halswirbel. Das Stöhnen hörte abrupt auf. Doch der Kopf wollte nicht abgehen. Noch hing er an Sehnenund Fleisch, erst der nächste Hieb trennte ihn vollständig vom Rumpf.
    Er rollte über das Holzpodest und blieb direkt vor Jakob liegen. Dem Henkerssohn wurde schwarz vor Augen, schließlich stülpte sich sein Magen um. Er fiel auf die Knie und erbrach das dünne Bier und den Haferbrei von heute Morgen, er würgte, bis nur noch grüne Galle kam. Wie durch eine Wand hörte er die Schreie der Leute, das Wüten der Ratsherren und das Keuchen seines Vaters neben ihm.
    Schlaf, Kindlein, schlaf...
    Kurz bevor ihn eine gnädige Ohnmacht übermannte, fasste Jakob Kuisl einen Entschluss. Niemals würde er in die Fußstapfen seines Vaters treten, niemals im Leben wollte er Henker werden.
    Dann kippte er
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