Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
Vom Netzwerk:
kopfüber in die Blutlache.

1
    Schongau,
    am Morgen des 24. April Anno Domini 1659,
    35 Jahre später …
     
    M agdalena Kuisl saß auf der Holzbank vor dem kleinen, geduckten Henkershaus und presste den schweren Bronzemörser fest zwischen ihre Schenkel. Mit gleichmäßigen Stößen zerrieb sie getrockneten Quendel, Bärlapp und Mutterwurz zu feinem, grünem Pulver. Ein würziger Duft stieg ihr in die Nase und verbreitete eine Ahnung vom herannahenden Sommer. Die Sonne schien ihr ins braungebrannte Gesicht, so dass sie blinzeln musste, Schweißtropfen rollten ihr über die Stirn. Es war der erste richtig warme Tag in diesem Jahr.
    Draußen im Garten spielten ihre kleinen Geschwister, die sechsjährigen Zwillinge Georg und Barbara. Sie rannten durch die Hollersträucher, die bereits die ersten Knospen trugen. Immer wieder schrien die Kinder laut auf vor Vergnügen, wenn ihnen die langen Zweige wie Finger übers Gesicht streiften. Magdalena musste lächeln. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihr Vater noch vor wenigen Jahren auf die gleiche Weise durch die Büsche gehetzt hatte. Sie sah seine große, massige Gestalt vor sich, wie er mit erhobenen Pranken und drohendem Knurren wie ein großer Bär hinter ihr hergelaufen war. Ihr Vater war ein wunderbarer Spielkamerad gewesen. Nie hatte sie verstanden, warum die Leute in der Stadt die Straßenseite wechseltenoder ein Gebet murmelten, wenn er ihnen entgegenkam. Erst später, mit sieben, acht Jahren hatte sie erfahren, dass ihr Vater mit seinen Pranken nicht nur spielen konnte. Das war auf dem Galgenhügel gewesen, und Jakob Kuisl hatte einem Dieb den Hanfstrick um den Hals gelegt und zugezogen.
    Trotz allem war Magdalena stolz auf ihre Familie. Schon ihr Urgroßvater Jörg Abriel und ihr Großvater Johannes Kuisl waren Henker gewesen. Magdalenas Vater Jakob war beim Großpapa in die Lehre gegangen, so wie es auch ihr kleiner Bruder Georg in ein paar Jahren bei seinem Vater tun würde. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte ihr die Mutter einmal vor dem Einschlafen erzählt, dass der Vater nicht immer Henker gewesen war; im großen Krieg sei er mitmarschiert, bevor es ihn doch wieder zurück nach Schongau gezogen habe. Als die kleine Magdalena wissen wollte, was er im Krieg getan habe und warum er nun doch lieber den Leuten den Kopf abschlug, als mit Harnisch und funkelndem Säbel in ferne Länder zu ziehen, hatte ihre Mutter geschwiegen und ihr den Finger auf die Lippen gelegt.
    Die Kräuter waren fertig gemahlen. Magdalena leerte das grüne Pulver in einen Tontiegel, den sie sorgfältig verschloss. Zu einem Sud verkocht, würde die duftende Mischung Frauen helfen, ihre aussetzende Blutung zu bekommen. Ein bekanntes Mittel, um eine unwillkommene Geburt doch noch zu verhindern. Quendel und Bärlapp wuchsen in jedem zweiten Garten, aber nur ihr Vater wusste, wo es den seltenen Mutterwurz zu finden gab. Selbst die Hebammen aus den umliegenden Dörfern kamen wegen dieses Pulvers zu ihm. Er nannte es Liebfrauenpulver und verdiente damit den einen oder anderen Silberpfennig zusätzlich.
    Magdalena schob eine Locke nach hinten, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel. Sie hatte die widerspenstigen Haare ihres Vaters geerbt. Buschige Augenbrauen saßen über schwarz funkelnden Augen, die immer ein wenig zu zwinkern schienen. Mit ihren zwanzig Jahren war sie das älteste Kind des Henkers. Nach ihr hatte die Mutter zwei Totgeburten zur Welt gebracht, außerdem drei Säuglinge, die so schwach waren, dass sie das erste Jahr nicht überlebten. Dann endlich waren die Zwillinge gekommen. Die beiden Rabauken waren der ganze Stolz ihres Vaters, und manchmal war Magdalena fast ein wenig eifersüchtig. Georg würde als einziger Sohn das Henkershandwerk erlernen, und Barbara träumte als kleines Mädchen noch alle Träume dieser Welt. Magdalena hingegen war die Henkersdirne, das Blutmädchen, das keiner anrühren durfte und hinter dessen Rücken man tuschelte und lachte. Sie seufzte. Es schien, als wäre ihr Leben schon jetzt genau festgelegt. Sie würde einen Henker aus einer anderen Stadt heiraten, denn Scharfrichterfamilien blieben stets unter sich. Dabei gab es schon den einen oder anderen jungen Mann hier in der Stadt, der ihr gefiel. Vor allem einen …
    »Wennst mit dem Liebfrauenpulver fertig bist, geh rein und kümmer dich um die Wäsch. Die werd ned von allein sauber.«
    Die Stimme der Mutter riss Magdalena aus ihren Träumereien. Anna Maria Kuisl sah ihre Tochter mahnend an.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher