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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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Eine schmale, ausgetretene Treppe führte nach unten ins Verlies. Hier befand sich ein düsterer Korridor, von dem rechts und links schwere, eisenbeschlagene Türen abgingen. In Kopfhöhe waren winzige Gitter eingelassen. Durch ein Gitter zur Rechten ertönte ein fast kindliches Wimmern und das Flüstern des Priesters. Lateinische Wortfetzen drangen an Jakobs Ohr.
    Der Büttel öffnete die Tür, und sofort war die Luft erfüllt von Gestank. Urin, Exkremente, Schweiß. Unwillkürlich hielt der Henkerssohn den Atem an.
    Drinnen hörte das Wimmern der Frau kurz auf, dann ging es in ein hohes, klagendes Schreien über. Die Kindsmörderin wusste, dass es jetzt zu Ende ging. Auch die Litanei des Priesters schwoll an. Das Beten und das Schreien vereinten sich zu einem einzigen infernalischen Lärm.
    »Dominus pascit me, et nihil mihi deerit ... «
    Andere Büttel waren jetzt hinzugeeilt, um das Bündel Mensch ans Tageslicht zu zerren.
    Elisabeth Clement war einmal eine schöne Frau gewesen,mit blondem Haar bis zur Schulter, lachenden Augen und einem spitzen Mund, der immer ein wenig spöttisch zu lächeln schien. Jakob hatte sie des Öfteren mit den anderen Mägden unten beim Wäschewaschen am Lech gesehen. Jetzt hatten die Büttel ihr die Haare abgeschnitten, das Gesicht war bleich und eingefallen. Sie trug ein einfaches graues Büßerhemd, das über und über mit Schmutzflecken übersät war. Die Schulterknochen stachen durch Hemd und Haut. Sie war so mager, als hätte sie von der reichlichen Henkersmahlzeit, die Verurteilten drei Tage lang zustand und die traditionell der Semer-Wirt stiftete, überhaupt nichts angerührt.
    Elisabeth Clement war die Magd des Rösselbauern gewesen. Ihre Schönheit hatte sie bei den Knechten beliebt gemacht. Sie hatten sie umschwirrt wie Motten das Licht, ihr kleine Geschenke gemacht, sie vor der Haustür abgefangen. Der Rösselbauer hatte geflucht, doch was half’s. Der eine oder andere, so hieß es, sei mit ihr auch im Heu verschwunden.
    Die zweite Magd hatte das tote Kind hinter der Scheune in einer Grube gefunden, die Erde darauf noch ganz frisch. Schon gleich am Anfang der Folter war Elisabeth zusammengebrochen. Von wem das Kind war, konnte oder wollte sie nicht sagen. Aber die Frauen in der Stadt tratschten und tuschelten. Elisabeths Schönheit war ihr zum Verhängnis geworden, und das ließ so manche hässliche Bürgersfrau beruhigt schlafen. Die Welt war wieder in Ordnung.
    Jetzt schrie Elisabeth ihre Angst in die Welt hinaus und schlug wild um sich, als die drei Büttel sie aus ihrem Loch zerrten. Sie versuchten sie zu fesseln, doch immer wieder entwand sie sich ihnen wie ein glitschiger Fisch.
    Dann geschah etwas Merkwürdiges: Der Henker trathervor und legte ihr beide Hände auf die Schultern. Fast zärtlich beugte sich der große Mann zu dem schmächtigen Mädchen herunter und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Nur Jakob war nahe genug, um die Worte zu verstehen.
    »Es wird nicht wehtun, Lisl. Ich versprech’s dir, es wird nicht wehtun.«
    Das Mädchen hörte auf zu schreien. Zwar zitterte es noch am ganzen Körper, doch es ließ sich jetzt binden. Die Büttel blickten mit einer Mischung aus Bewunderung und Angst zum Scharfrichter empor. Für sie hatte es so ausgesehen, als hätte Johannes Kuisl dem Mädchen einen Zauberspruch ins Ohr geflüstert.
    Schließlich traten sie nach draußen, wo viele Schongauer bereits erwartungsvoll auf die arme Sünderin warteten. Raunen und Tuscheln war zu hören, einige schlugen ein Kreuz oder sprachen ein kurzes Gebet. Oben am Kirchturm begann die Glocke zu läuten, ein hoher, schriller Ton, den der Wind über die Stadt wehte. Spottrufe gab es nun keine mehr, außer den Glockentönen war völlige Stille eingetreten. Elisabeth Clement war eine von ihnen gewesen, jetzt begaffte die Menge sie wie ein wildes, gefangenes Tier.
    Johannes Kuisl hob das zitternde Mädchen auf den Karren und flüsterte ihm erneut etwas ins Ohr. Dann reichte er ihm ein kleines Fläschchen. Als Elisabeth zögerte, packte er plötzlich ihren Kopf, hielt ihn nach hinten und träufelte ihr die Flüssigkeit in den Mund. Alles ging so schnell, dass nur wenige der Umstehenden etwas davon mitbekamen. Elisabeths Augen wurden glasig. Sie kroch in eine Ecke des Wagens und legte sich dort auf den Boden. Ihr Atem ging nun ruhiger, das Zittern hörte auf. Kuisls Trank war bekannt in Schongau. Eine Gnade, die er allerdings nicht jedem Verurteilten zuteilwerden ließ.Der Opferstockräuber
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