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Die Heilerin

Die Heilerin

Titel: Die Heilerin
Autoren: Aufbau
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umgestürzte Eiche, die mit Moos und Efeu bewachsen war.
    »Wird in Linn immer so viel gefeiert?«, fragte Margaretha und nahm den Beutel hervor, den die Mutter ihr mitgegeben hatte. Darin war ein Tonkrug mit verdünntem Wein, ein kleiner Laib Brot und etwas Käse. Sie nahm neben Jan auf dem Baumstamm Platz und teilte die Mahlzeit mit ihm.
    »Linn gehört zum Kurfürstentum Köln. Die kirchlichen Feiertage sind immer Anlass für Feiern, und oft geht es dort heftig zu. Es wird laut gefeiert, gesungen, getanzt.«
    »Dass dein Vater dich dorthin hat ziehen lassen, wundert mich.« Margaretha lächelte. Als Gemeindevorsteher wetterte Johann Scheuten immer wieder gegen das laute und ausgelassene Treiben an Festen. Für die Mennoniten war dies kein anständigesBenehmen. Gott pries man durch Stille, Ehrfurcht und Hingabe.
    »Ja«, Jan lachte, »mich hat es auch verwundert. Mutter hat ihm gut zugeredet, damals. Sie meinte etwas wie: Der Jung muss doch die Welt kennenlernen. Ob Linn nun wirklich die Welt ist? Immerhin liegt es eine Tagesreise von Krefeld entfernt. Aber vermutlich war ihr gerade das recht. Ich war fort, jedoch erreichbar.«
    »Und jetzt zieht dich nichts mehr in die Fremde?«
    »Im Moment habe ich genügend Erfahrungen gemacht. Es ist schon schön, in seinem eigenen Zimmer zu schlafen, alleine, ohne zwei oder drei andere schnarchende Lehrlinge.«
    »Du hast ein Zimmer für dich alleine?« Margaretha sah ihn erstaunt an, dann wurde ihr klar, dass seine großen Brüder schon längst eigene Hausstände hatten. Er war der Nachkömmling, der Jüngste der Familie. Sie war es auch lange gewesen, bis Eva kam. Aber die kleine Schwester wollte sie um keinen Deut missen, auch dass sie mit ihr das Zimmer teilte, störte Margaretha nicht. Nachdenklich nahm sie einen Kanten Brot und ein Stück Käse, kaute langsam. Es schmeckte köstlich. Obwohl es kalt war, fror sie nicht. Der Geruch von Laub und den vielen Eicheln, leicht süßlich und doch herb, lag in der Luft. Es roch viel klarer und reiner als in der Stadt mit den vielen Leuten, den Kaminen und Feuern, den Abwässern und dem Unrat, der verrottete.
    »Würdest du in die Fremde ziehen wollen?«, fragte Jan sie. Darüber hatte Margaretha nicht nachgedacht, jedenfalls nicht bewusst. Als Frau ihres Standes blieb sie bei ihrer Familie, bis sie heiratete. Die Familien hatten vielerlei Kontakte zu anderen Familien in fremden Städten, und manchmal kam es so durchaus zu einer Heirat. Dann zog die Frau zu ihrem Mann. Aber alleine wegzugehen, dafür gab es weder Anlass noch Möglichkeit.
    »Das weiß ich gar nicht. Ich glaube, es würde mir Angst machen. Fremde Leute, die ich nicht kenne, vielleicht auch andereSitten und Bräuche. So wie du es erlebt hast, obwohl Linn ja gar nicht weit weg ist. Hattest du keine Angst, anfangs?«
    Jan nahm einen Schluck aus dem Krug, wischte sich nachdenklich über den Mund. »Doch, schon. Aber dann fand ich es aufregend. Und nachher habe ich mich nach Hause gesehnt, das habe ich aber weder mir noch anderen eingestanden. Als mein Lehrmeister starb, war ich einerseits betrübt, andererseits froh. Ich hätte dort eine andere Stelle haben können, wollte aber nicht. Mich hat es zurück in die Stadt gezogen. Manchmal ärgere ich mich jetzt darüber. Mein Vater führt ein straffes Reglement im Haus, und es ist anders mit dem Vater als mit dem Lehrherrn. Aber in ein paar Jahren werde ich meinen eigenen Hausstand gründen.« Er sah sie an. Ein Grübchen zeichnete sich auf seiner linken Wange ab. Es verzauberte sein kantiges Gesicht, machte es weich, fröhlich. Margaretha hielt den Atem an. Diesen Moment wollte sie sich bewahren.
    Sie war so vertieft in ihre Gedanken, dass sie das Schnaufen und Keuchen nicht hörte. Als Jan plötzlich hochsprang, fuhr sie entsetzt zusammen.
    »Eine Rotte Schweine. Schnell, kletter auf den Stamm«, wies er sie an. »Verdomme! Wer hat denn die Schweine unbeaufsichtigt zur Mast in den Wald getrieben?« Er erklomm auch den Baumstamm, der alt war und schon tief im Erdreich stak. Für einen wütenden Eber wäre der Baum kein Hindernis. Fünf Schweine brachen durch das Unterholz auf die kleine Lichtung, grunzend und schnaufend wühlten sie die Erde auf. Die Anwesenheit der beiden Menschen schien sie weder zu stören noch zu beeindrucken. Wie die meisten Familien hielten auch op den Graeffs und Scheutens Schweine. Sie wurden im Frühjahr gekauft, im Herbst gemästet und zu Martini geschlachtet. Einige Leute brachten ihre Schweine
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