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Die Hassliste: Roman (German Edition)

Die Hassliste: Roman (German Edition)

Titel: Die Hassliste: Roman (German Edition)
Autoren: Jennifer Brown
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mag sich verrückt anhören, aber ich hatte fast das Gefühl, wir waren Freundinnen geworden, weil wir dazu bestimmt waren.
    Fern von uns blitzten Kameras auf, was ich mehr spürte, als dass ich es sah. Ich hörte die Journalisten im Hintergrund tuscheln. Als Jessica und ich uns voneinander getrennt hatten, trat ich ans Rednerpult und räusperte mich.
    Ich sah alle meine alten Freunde: Stacey, Duce, David und Mason. Ich sah Josh und Meghan und sogar Troy, der hinten bei Meghans Eltern saß. Ich sah sie alle, wie ein wogendes Meer von Unbehagen und Traurigkeit, jeder von ihnen trug seinen eigenen Schmerz in sich, jede hatte ihre eigene Geschichte und keine dieser Geschichten war tragischer oder glänzender als irgendeine andere. Im Grunde hatte Nick recht gehabt: Jeder von uns konnte manchmal ein Sieger sein. Allerdings hatte er nicht verstanden, dass wir auch alle Verlierer sein mussten. Das eine geht nicht ohne das andere.
    Mrs Tate kaute an ihren Fingernägeln, während sie mir zusah. Mom hatte die Augen geschlossen. Es sah aus, alswürde sie nicht einmal atmen. Kurz kam mir in den Sinn, dass ich vielleicht doch auf meinen allerersten Einfall zurückkommen und die Gelegenheit nutzen sollte, mich zu entschuldigen. Offiziell. Der Welt gegenüber. Vielleicht war eine Entschuldigung viel wichtiger als das, was ich jetzt vorhatte.
    Aber da spürte ich, wie Jessicas Hand in meine glitt, wie ihre Schulter meine berührte, und im gleichen Moment sah ich, wie Angela Dash sich über ihren Notizblock beugte und zu schreiben begann. Ich warf einen Blick auf meine Rede.
    »Hier an der Garvin-Highschool haben wir dieses Jahr eine bittere Lektion über die Realität lernen müssen. Leute empfinden Hass. Das ist unsere Realität. Leute hassen einander und werden gehasst, sie wünschen einander Schlechtes und wollen sich gegenseitig bestrafen.« Ich schaute zu Mr Angerson hinüber, der nur noch auf der Kante von seinem Stuhl saß und bereit war, jederzeit aufzuspringen und mich zu unterbrechen, falls ich zu weit gehen sollte. Ich merkte, wie ich zitterte und kurz ins Stolpern geriet. Jessicas Hand drückte meine ein wenig fester. Ich fuhr fort. »In der Zeitung lesen wir, dass die Zeiten des Hasses vorbei sind.«
    Angela Dash lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, Notizblock und Stift waren vergessen. Sie blitzte mich mit hässlichen, vorgewölbten Lippen an. Ich blinzelte, schluckte und zwang mich weiterzumachen.
    »Ich weiß nicht, ob es möglich ist, Menschen vom Hass zu befreien. Nicht einmal Menschen wie uns, die hautnah miterlebt haben, was Hass anrichten kann. Wir alle sindverletzt. Wir werden noch lange verletzt sein und leiden an alldem. Und wir werden, vielleicht mehr als sonst irgendwer, jeden Tag nach einer neuen Realität suchen. Einer besseren.« Ich blickte ganz nach hinten, über meine Eltern hinweg, zu Dr.   Hieler. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt und fuhr mit dem Zeigefinger über seine Unterlippe. Er nickte mir ein ganz klein wenig zu, fast unmerklich.
    Ich machte einen halben Schritt zur Seite. Jessica beugte sich zum Mikrofon vor und hielt dabei meine Hand noch immer fest umschlungen.
    »Wir wissen, dass es möglich ist, die Realität zu verändern«, sagte sie. »Es ist schwer und die meisten Leute machen sich nicht einmal die Mühe, es zu versuchen, aber es ist möglich. Man kann die Realität des Hasses überwinden, indem man sich für eine Freundschaft öffnet. Indem man einen Feind rettet.« Jessica blickte mich an. Sie lächelte. Ich lächelte traurig zurück. Ich fragte mich, ob wir noch Freundinnen sein würden, wenn das hier vorbei war. Ob wir uns nach dem Tag heute überhaupt noch sehen würden.
    »Aber wer die Realität verändern will, muss bereit sein, zu lernen und zuzuhören. Wirklich genau hinzuhören. Als Sprecherin der Abschlussklasse von 2009 bitte ich Sie alle, sich an die Opfer des zweiten Mai zu erinnern und sich anzuhören, wer diese Leute wirklich waren.«
    Ich räusperte mich.
    »Viele von den Opfern sind deshalb gestorben, weil der Täter   …« Ich verstummte. Ich konnte nicht einmal zu Dr.   Hieler hinschauen, der mir gerade ermutigend zunickte, das wusste ich genau. »…   weil mein Freund, NickLevil, und ich glaubten, sie wären schlecht. Wir haben nur gesehen, was wir sehen wollten, und wir   …« Ich wischte mir über mein eines Auge. Jessica ließ meine Hand los und begann mir stattdessen über den Rücken zu
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