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Die Händlerin von Babylon

Die Händlerin von Babylon

Titel: Die Händlerin von Babylon
Autoren: Suzanne Frank
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seine Brust und seine Beine schien. Seinem weißen Bart zum Trotz war sein Körper kräftig und muskulös, und seine Haut wirkte geschmeidig, auch wenn sie dunkel wie Leder war. »Wie gesagt, ich möchte, dass du dem Lugal Bericht erstattest. Unter Umständen auch den beiden Häusern, die unser Gemeinwesen regieren, nur um den Ratsmitgliedern eine Vorstellung davon zu geben, mit welchen Schäden wir es zu tun haben.«
    »Wieso interessiert euch das?« Sie nahm einen Schluck Bier.
    »Was?«, fragte er, ein Ohr ihr zugewandt.
    »Wieso interessiert es die dreißigtausend Menschenwesen hier, was auf der Marsch passiert ist?«, wiederholte sie lauter.
    »Wir kaufen unser Vieh aus kleinen Dörfern wie eurem, darum müssen wir wissen, ob es weniger Nachschub geben wird, damit wir unsere Planungen umstellen können. Außerdem ist es notwendig, die Abschlagszahlungen für jene Steuerpflichtigen zu berechnen, die Eigentum an diesen Feldern haben. Von denen bekommt das Gemeinwesen nämlich einen Anteil. Und«, seufzte er, »wir müssen berechnen, ob das Gemeinwesen weitere Menschen aufnehmen muss, die sich nicht selbst ernähren können. In letzter Zeit war das unser Los. Zu viele Menschen. Vor allem aber kümmern wir uns darum, weil es unsere Menschlichkeit gebietet.«
    Sie beugte sich interessiert vor.
    Ningal lächelte sie an. »Was uns in Ur von anderen Menschen unterscheidet, ist nicht das Wissen, dass Ziusudra lebt und wohlauf ist, oder dass wir lesen und schreiben können. Sondern unser Bewusstsein, dass wir nicht die Einzigen in der Ebene von Shinar sind. Vielleicht brauchen andere unsere Zuwendung und Hilfe. Wir leben in größerem Wohlstand, darum ist es an uns, unseresgleichen zu helfen.« Er beugte sich vor und musterte sie.
    »Du weißt, dass wir alle gleich sind, oder? Auch wenn deine Augen verschiedenfarbig und meine schwarz sind, auch wenn du groß und gertenschlank wie eine Weide bist und ich kürzer und drahtig wie Kupfer bin, sind wir gleich. Wir alle haben eine Mutter, einen Vater. Daraus ergibt sich unsere Menschlichkeit, jener göttliche Funke in uns allen, den wir bewahren müssen.« Er nahm einen Schluck Bier. »Wenn ein Bruder sich für göttlicher hält als seine Brüder, dann sät er damit Unheil.«
    Bilder blitzten in ihrem Kopf auf, so schnell und so traurig, dass Chloe sie wie einen Schlag ins Gesicht empfand. Bruder gegen Bruder, Cousin im Kampf gegen Cousin, tiefe Gräben, weil verschiedene Götter angebetet oder eine unterschiedliche Wirtschaftspolitik verfolgt wurde. Flugzeuge, Bomben, Schiffe, Gewehre. Alles voller Blut.
    »Chloe, geht es dir gut, Weib?«, fragte Ningal.
    Sie sah ihm in die Augen.
    »Du bist plötzlich weiß wie Flussschaum. Tut dir der Kopf weh?«
    Sie schwenkte den Trinkhalm vom Mund weg. »Es geht mir gut. Es ist nur ein bisschen viel auf einmal.« So vieles in ihrem Kopf, was sie nicht wusste, was sie aber verstand. Worte mit Bildern erfüllten sie mit ungeheuren Gefühlen, Worte mit Bildern von Orten und Menschen, von denen sie nie auch nur geträumt hatte. Trotzdem kannte sie alles, sie kannte die Bilder, die Worte. Die Fremdheit war vertraut. Chloe drehte den Trinkhalm wieder zu sich her und nahm einen kleinen Schluck, um die Bitterkeit aus ihrem Mund zu spülen.
    »Verzeih mir das Richtergeschwafel«, sagte Ningal. »Bestimmt bist du müde und hungrig. Ich habe all diese Leute kommen lassen, um dich zu frisieren, dabei kannst du das offensichtlich selbst. Gibt es noch irgendwas, das du brauchst? Oder wünschst?«
    Einen Big Mac mit Pommes frites. Kein Laut kam über ihre Lippen. »Ich muss nach meinen Schafen schauen«, erklärte sie nach einer Weile und erhob sich, den Beutel mit Granatapfelschalen in der Hand.
    »Natürlich. Soll dich jemand begleiten?«
    »Nein, ich komme schon zurecht«, lehnte sie ab. Die Tafel mit ihren Schafen war in ihren Rock eingenäht, der vielleicht schmutzig war und kratzte, aber trotz alledem ihr Rock war. »Ich bin bald wieder da.« Damit schlüpfte sie aus der Tür und auf die Straße. Diese Straße mündete in die andere, die große Straße, die an dem vielfarbigen Hügel vorbei durch das Tor und zu den Weiden dahinter führte. Diesmal schienen die Menschen nicht so auf Chloe zu achten, und sie fühlte sich etwas weniger beklommen. Aber es waren so viele!
    Vor dem Tor wachten ein paar Hirten gelangweilt über die Schafe. Chloe sah, dass das Weidegebiet mit Pfosten eingezäunt war, zwischen die Tierhäute gespannt worden waren. Sie
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